Im Kampf gegen Antisemitismus dringen Experten auf eine konsequente Anwendung rechtsstaatlicher Mittel und eine stärkere Sensibilisierung von Justiz- und Ermittlungsbehörden. So falle es etwa Richtern auch in einem gut funktionierenden Rechtssystem wie in Deutschland oft schwer einzuordnen, ob einer Tat ein antisemitisches Motiv zugrunde liegt, sagte die Antisemitismusbeauftragte des Landes Nordrhein-Westfalen, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, in einer Online-Diskussion am Dienstagabend.
MÄNGEL Sie würdigte in dem Zusammenhang Antisemitismusbeauftragte bei Generalstaatsanwaltschaften, wie es sie bereits in Berlin und Bayern gibt. Die frühere Bundesjustizministerin von der FDP berichtete zudem von einem Projekt in der Stadt Köln: Neu eingestellte Richter besuchten die dortige Synagogengemeinde für Gespräche. »Da bekommen sie einen Einblick.« Mit Blick auf Antisemitismus gebe es durchaus Mängel bei der Wissensvermittlung im Studium und bei Fortbildungen. »Dann darf man sich nicht wundern, wenn eine gewisse Sensibilisierung fehlt.«
Organisiert wurde die Veranstaltung vom jüdischen Begabtenförderungswerk Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerk (ELES).
Wenn Opfer oder auch Zeugen nach einer Straftat bei den Ermittlungen feststellten, dass sie nicht ernst genommen würden, drohe ein Vertrauensverlust, betonte Leutheusser-Schnarrenberger. Alle Menschen müssten sich für das Vorgehen gegen Judenfeindlichkeit verantwortlich fühlen: »Antisemitismus verletzt die Menschenwürde. Und deshalb müssen wir uns alle angesprochen fühlen.«
WILLEN Der Journalist, Jurist und Autor Ronen Steinke (»Terror gegen Juden«) zitierte aus einer Statistik der EU-Grundrechteagentur, wonach nur 20 Prozent der antisemitischen Straftaten angezeigt werden. Dass Betroffene in diese Richtung abwägen, sei ein »Versagen« des Staates. Denn dieser habe den Anspruch, nicht das Recht des Stärkeren gelten zu lassen und sich für die Schwachen einzusetzen. Die »schönsten Paragrafen« nutzten nichts, wenn sie nicht mit Leben erfüllt würden; »es kommt auf den Willen an«.
Die Rechtsanwältin Vladislava Zdesenko, die ehrenamtlich Opfer von Antisemitismus berät, rief dazu auf, nicht zu schweigen. Auch Zeugen sollten sich für eine Ermittlung und einen Prozess zur Verfügung stellen. Es gebe in Deutschland ausreichend Instrumente, um präventiv und repressiv gegen Antisemitismus vorzugehen. Diese Instrumente würden aber oft nicht konsequent eingesetzt.
Die Diskussionsveranstaltung wurde vom jüdischen Begabtenförderungswerk Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerk (ELES) in Berlin im Rahmen der Initiative »Nie wieder!? Gemeinsam gegen Antisemitismus & für eine plurale Gesellschaft« organisiert. Schirmherr des Programms ist Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland.
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