Trotz der Corona-Einschränkung war das Niveau rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt 2020 nach Angaben von Betroffenenverbänden unverändert hoch. Wie die Geschäftsführerin von »Opferperspektive«, Judith Porath, am Dienstag in Berlin mitteilte, zählten Beratungsstellen in acht Bundesländern 1322 rechte, rassistische und antisemitisch motivierte Gewalttaten.
Die Zahlen bezögen sich auf Beratungsstellen in Berlin, den fünf ostdeutschen Bundesländern sowie in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfahlen. Der Corona-Leugner-Bewegung warf sie vor, »zunehmend ein Katalysator für antisemitische Verschwörungsmythen, Schoa-Relativierung antidemokratische Bestrebungen und rechtsextremistische Gewalt« zu sein.
RIAS-Geschäftsführer Benjamin Steinitz beklagt vor allem einen wachsenden Judenhass bei Querdenkern.
Nach Angaben von Porath waren insgesamt 1922 Menschen direkt betroffen, bei 18 Prozent der Fälle habe es sich um Kinder und Jugendliche gehandelt. Bei mehr als 77 Prozent sei es um Körperverletzungen bis hin zu Tötungen gegangen. 809 Taten seien rassistisch motiviert gewesen und hätten sich gegen Schwarze, Flüchtlinge oder Menschen mit Migrationsgeschichte gerichtet.
Dabei hätten Übergriffe gegen Menschen mit vermeintlicher asiatischer Herkunft zugenommen. Porath beklagte eine große Diskrepanz zwischen den erfassten Zahlen staatlicher Behörden und denen der Beratungsstellen. Viele rechtsmotivierte Taten wurden nicht als solche erfasst.
Newroz Duman, Mitbegründerin der »Initiative 19. Februar Hanau« warf den Behörden unzureichende Aufklärung und Versäumnisse vor. Die Polizei lehne Gespräche mit Angehörigen ab. Zudem werde die politische Dimension des Anschlags vollständig ausgeblendet. Bei dem rechtsextremistischen Anschlag waren am 19. Februar 2020 neun Hanauer Bürger mit Migrationshintergrund getötet worden.
Steinitz spricht von einer »antisemitischen Dynamik« und einer »bedrohlichen Normalisierung«.
Benjamin Steinitz vom Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus (RIAS) beklagte vor allem einen wachsenden Antisemitismus und antisemitisches Verschwörungsdenken bei Anti-Corona-Demonstrationen und Querdenkern. Sie böten eine »Gelegenheitsstruktur«, um vorhandene antisemitische Haltungen zum Ausdruck zu bringen.
Steinitz sprach von einer »antisemitischen Dynamik« und einer »bedrohlichen Normalisierung«. Fallende Hemmschwellen und permanente Regelverletzungen würden den Nährboden für schwerste Gewalttaten schaffen. Den Strafverfolgungsbehörden hielt er vor, die antisemitischen Motive nicht hinreichend zur Kenntnis zu nehmen.
Steinitz kritisiert zudem eine mangelnde Sensibilität der Behörden auch bei antisemitischen Straftaten. So werde der Angriff eines Mannes mit einem lappspaten auf einen jüdischen, Kippa-tragenden Studenten in der Nähe iner Hamburger Synagoge vergangenes Jahr von der Justiz nicht als ntisemitische Straftat gewertet, obwohl der Angreifer ein Hakenkreuz bei sich trug.
Dieses Verkennen antisemitischer Motive verstärke das Misstrauen gesellschaftlicher Minderheiten in die Behörden, warnte Steinitz. Etwa nur 20 Prozent der Vorfälle kämen deshalb überhaupt zur Anzeige. kna/ja/epd