Im Prozess um den rechtsextremen Terroranschlag von Halle haben mehrere Zeugen Vorwürfe gegen die Polizei erhoben. Sie alle begegneten dem Attentäter am frühen Nachmittag des 9. Oktober 2019 auf dessen Flucht im kleinen Örtchen Wiedersdorf im Saalekreis, wo er sie bedrohte und zwei von ihnen schwer verletztte. Doch als sie schwer verletzt den Notruf gewählt habe, habe ihr der Beamte am anderen Ende der Leitung zunächst nicht geglaubt, sagte eine 51-Jährige am Mittwoch vor Sachsen-Anhalts Oberlandesgericht in Magdeburg.
Angeklagt ist Stephan B., ein 28 Jahre alter Deutscher. Er hat die Taten bereits gestanden. Am Mittwoch versuchte der Staatsschutzsenat weiter aufzuarbeiten, was passierte, nachdem der Attentäter nach seinen Anschlägen auf die Hallenser Synagoge und einen Döner-Imbiss aus der Stadt geflüchtet war.
FLUCHT In den Mittagsstunden hatte der Attentäter zunächst vergeblich versucht, in die Synagoge einzudringen, in der 52 Gläubige zum Jom-Kippur-Gottesdienst versammelt waren. Kurz darauf erschoss B. eine 40-jährige Passantin und einen 20 Jahre alten Gast in einem nahe gelegenen Döner-Imbiss. Viele Menschen flohen in Panik und wurden verletzt. Bei einer kurzen Schießerei mit einer Polizeistreife wurde der Attentäter selbst am Hals verletzt, ehe er aus der Stadt fuhr.
Weil er selbst Reifen an seinem Mietwagen zerschossen hatte, brauchte der Täter ein neues Auto und stoppte in Wiedersdorf, einem Ortsteil von Landsberg, rund 16 Kilometer von den ersten Tatorten entfernt. Dort arbeitete ein 52-Jähriger in seinem Garten. Es habe am Hoftor geklopft und er habe in eine Pistole geblickt, sagte der Mann dem Gericht am Mittwoch. Der Täter habe den Schlüssel für ein geparktes Auto gefordert.
Der 52-Jährige berichtete, dass der Attentäter auf ihn schoss, als er weglief. Die Kugel traf den Zeugen im Nacken und blieb hinter dem rechten Ohr stecken. Seine Frau schilderte, wie sie wegen eines Geräuschs auf den Hof geeilt sei. »Mein Mann war voller Blut, ich wollte auf ihn zulaufen, als ich, platsch, hingefallen bin, dann konnte ich nicht mehr aufstehen und dann habe ich ihn gesehen«, sagte sie aus. Dass die Frau stürzte, weil der Täter ihr von hinten in die Hüfte geschossen hatte, habe sie erst viel später begriffen. Der Täter sei ihr ganz nah gewesen. »Er hat rumgejammert«, sagte sie, »wie so ein Weichei«, und hinzugefügt, dass er verletzt sei und ein Auto brauche.
VERFOLGUNG Als der Angreifer den Schlüssel nicht bekam, sei er vom Hof verschwunden. Doch dann habe ihr der Mann am Notruf nicht geglaubt, berichtete die 51-Jährige. Es sei zunächst nur ein einzelner Beamter gekommen, erst später sei ein Hubschrauber für ihren Mann und ein Krankentransport für sie selbst eingetroffen, so die Zeugin.
Was nach dem Angriff auf das Paar geschah, schilderten zwei Taxifahrer und ein Werkstattinhaber dem Gericht: Der Attentäter sei auf einen von ihnen zugerannt, habe ihm die Waffe vor das Gesicht gehalten und ein Taxi verlangt. Kurz nach Fortsetzung der Flucht habe er sich entschlossen, mit einem zweiten Taxi die Verfolgung aufzunehmen, sagte ein 41 Jahre alter Zeuge aus.
Der Inhaber der Werkstatt rief die Polizei und sah nach seinen Nachbarn, das Paar, bei denen der Täter zuvor gewesen war. Der Taxifahrer verfolgte hingegen den Attentäter, bis er an der Autobahnabfahrt Wiedemar Polizisten am Straßenrand entdeckte. Die habe er angesprochen. Daraufhin hätten die Beamten gesagt, sie könnten nicht weg, sie seien ein Kontrollposten für Halle.
Die Beamten hätten Verstärkung angefordert. Währenddessen habe er die Idee gehabt, seinen Autohändler anzurufen, um das Taxi orten zu lassen, erklärte der Mann. Kurz darauf habe er einen Mitarbeiter des Autohauses, der die Position des Wagens verfolgte, mit dem Polizisten verbunden, berichtete der Zeuge. Wenig später konnte die Polizei den Halle-Attentäter fassen. dpa