»Oops! … I Did It Again« war einer jener Hits, die Britney Spears zu Weltruhm verhalfen. »Cause to lose all my senses, that is just so typically me«, sang die Amerikanerin im Jahr 2000.
Das könnte man auch über Annalena Baerbock sagen. Zumindest nach dem Tweet, den sie am Sonntagnachmittag absetzte. »Mit dem Licht der Chanukka-Kerzen vergrößert sich der Lichtkegel von Vielfalt, Demokratie und Menschenwürde. Sie bereichern uns alle.«
VERANTWORTUNG Zwei Sätze, die – mal abgesehen von der allzu esoterisch-süßlichen Note, die sie verströmen – der designierten Bundesaußenministerin nun wieder Hohn und Spott von der versammelten Twitter-Gemeinde einbringen. Warum? Weil Baerbock es schon wieder getan hatte.
Im Juni kam heraus, dass sich die damalige Kanzlerkandidatin für ihr Buch Jetzt. Wie wir unser Land erneuern kräftig bei anderen Autoren bedient hatte, ohne dies kenntlich zu machen. Viele vermuteten, dass da Ghostwriter oder Mitarbeiter am Werk gewesen waren. Doch ganz Chefin nahm Baerbock die Verantwortung auf die eigene Kappe. Das führte jedoch dazu, dass ihr Wahlkampf aus der Spur geriet. Am Ende blieb Baerbock der Einzug ins Kanzleramt verwehrt.
ZEITMANGEL Immerhin gelobte sie Besserung und versprach, ihr Buch an den entsprechenden Stellen zu überarbeiten und Quellenangaben beizufügen. Auch daraus wurde am Ende nichts - Zeitmangel wurde als (absolut plausibler) Grund genannt. Das Buch ist mittlerweile aus dem Verlagsprogramm geworfen worden, fünf Monate nach Erscheinen war die Halbwertszeit bereits erreicht. Den meisten Leuten war’s eh gleichgültig: Der Wahlkampf war gelaufen, das Baerbock-Buch eindeutig Schnee von gestern.
»Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern, nichts hindert mich, weiser zu werden«, sagte Konrad Adenauer einmal. Der erste Teil des Satzes ist den meisten Leuten weiterhin präsent (der zweite weniger). Aber ist Baerbock tatsächlich weiser geworden? Oder kümmert sie eben nur ihr »Geschwätz« von gestern - ihr Versprechen, es künftig besser zu machen - nicht mehr?
Jedenfalls stammte auch die Chanukka-Botschaft nicht von ihr. Sondern von keinem Geringeren als ihrem Co-Vorsitzenden Robert Habeck. Der hatte den Satz von den Kerzen und dem Lichtkegel von Vielfalt, Demokratie und Menschenwürde nämlich in absolut identischer Form bereits einmal benutzt: als er vor einem Jahr Jüdinnen und Juden auf Instagram ein frohes Lichterfest wünschte. Es war nicht das erste Mal, dass Baerbock bei ihrem Kollegen abgekupfert hatte.
Und vielleicht es auch nur ein peinliches Versehen. Wieder einmal. Womöglich waren ja die Mitarbeiter in der grünen Parteizentrale in Berlin schuld. Ja, vielleicht werden die Social-Media-Accounts von Habeck und Baerbock sogar von ein und derselben Person betreut – einer mit ausgeprägten philosophisch-literarischen Ader. Sollte man nicht zu ihren Gunsten annehmen, dass Baerbock das gar nicht selbst gepostet hat?
TEXTBAUSTEINE Es gab in Deutschland schon schlimmere Staatsaffären als die um und mit Annalena Baerbock. Insofern besteht überhaupt kein Grund zu befürchten, die künftige deutsche Außenpolitik sei in Gefahr, aus der Spur zu geraten. Und traditionell hantiert ja gerade das Auswärtige Amt mit den immergleichen Sprech- und Textbausteinen, welche so nichtssagend und blutleer daherkommen, dass man nicht mal mehr von einem Plagiat sprechen kann. (Um das hier der guten Form halber kenntlich zu machen: Jan Fleischhauer kam als erster darauf, ich zitiere ihn hier nur!)
Sagen wir es so deutlich: Fiele doch endlich mal ein Lichtkegel von guter Rhetorik, klarer Ansprache und präziser Kommunikation auf die Diplomaten am Werderschen Markt!
Natürlich wirft Baerbocks Chanukka-Lapsus ernste Fragen auf. Ist die designierte Außenministerin willens und in der Lage, die richtigen Leute um sich zu scharen? Das Passwort für den eigenen Twitter-Account soll man bekanntlich nicht jedem verraten ...
Wird sie im neuen Amt nicht erst recht zu einer Geisel des Apparats? Kann Baerbock die Neujustierung der deutschen Außenpolitik gelingen, wenn ihr ständig Anfängerfehler unterlaufen? Wird sie so die Zweistaatenlösung in Israel und »Palästina« in den Grenzen von 1967 durchsetzen können, wie im Koalitionsvertrag skizziert?
TWITTER Vielleicht sollte sich die grüne Spitzenfrau ein Vorbild an Britney Spears nehmen. Die Amerikanerin, die am Donnerstag ihren 40. Geburtstag feiert, endete ihren Hit mit den Worten »I’m not that innocent« und stand damit zu ihren Fehlern. Natürlich ging es in dem Song um Liebe, nicht um Politik oder den Lichtkegel von Chanukkakerzen.
Doch anstatt sich ständig zu entschuldigen und zu rechtfertigen oder von gehässigen »Focus«-Kolumnisten wie Jan Fleischhauer auf Twitter ihr Zitat vom Juli (»Niemand schreibt ein Buch allein«) als »Niemand schreibt einen Tweet allein« persiflieren zu lassen, könnte Annalena Baerbock aus der Not auch eine Tugend machen. Sie könnte offen dazu stehen, dass sie gelegentlich mal bei anderen abschreibt (oder abschreiben lässt). Selbst Britney Spears schrieb ihren Hit »Oops I did it again« nicht selber. Aber wer kennt schon Max Martin und Rami Yacoub?