Am Vormittag des 1. Januar dieses Jahres stieß ein 49-jähriger Mann aus Fürth nach einer verbalen Auseinandersetzung einen 57-jährigen Mann am Nürnberger U-Bahnhof Langwasser-Süd ins Gleisbett. Dessen Versuch, zurück auf den Bahnsteig zu gelangen, scheiterte, denn der Täter trat immer wieder nach dem Opfer: gegen den Kopf und auf die Finger. Polizisten konnten den betrunkenen Mann schließlich überwältigen. Ein Mitarbeiter der Nürnberger Verkehrsbetriebe VAG hatte zuvor das Gleis gesperrt, sodass Schlimmeres verhindert werden konnte.
Der 49-Jährige wurde vor Gericht gestellt, in der vergangenen Woche wurde das Urteil gesprochen: fünf Jahre Freiheitsstrafe wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung. Interessant ist, dass die Staatsanwaltschaft zunächst zusätzlich noch eine Anklage wegen Volksverhetzung erhoben hatte. Wie der Klageschrift zu entnehmen war, hatte der Täter als Motiv bei seiner ersten Vernehmung gegenüber der Polizei angegeben, er habe sein Opfer – nach Medienberichten ein Grieche – für einen Juden gehalten. Der Täter soll dem Beamten gesagt haben: »Ich hab’ das gemacht, weil er ein Jude ist, das nächste Mal mache ich es richtig. Ich wusste gleich, dass er ein Jude ist, da ich es gerochen habe (...). Ich hasse alle Juden. Es kam nur kein Zug. Scheiße.«
volksverhetzung Doch die Anklage wegen Volksverhetzung wurde auf Antrag der Staatsanwaltschaft fallen gelassen. »Eine Einstellung auf Basis von Paragraf 154 II StPO ist nicht mit einem Freispruch zu verwechseln«, gibt Friedrich Weitner, Pressesprecher am Oberlandesgericht Nürnberg, zu bedenken. Für den Tatbestand der Volksverhetzung müsse eine Tat allerdings öffentlich passiert sein; antisemitisch geäußert hatte sich der Mann aber nur gegenüber dem Polizeibeamten.
Für den Anwalt Achim Doerfer, der sich mit dem Fall beschäftigt hat, ist nicht nachvollziehbar, warum der offensichtliche Judenhass des Täters – von ihm selbst als Tatmotiv geäußert – nicht zu einer Anklage wegen versuchten Mordes führte, sondern nur wegen versuchten Totschlags. »In vergleichbaren Fällen, wenn etwa Rassismus vorliegt, gilt das meist als ›niederer Beweggrund‹, ein Charakteristikum für Mord.«
Bei der Hauptverhandlung wurde lediglich darauf verwiesen, dass es bei dem Angeklagten keinen rechtsradikalen Hintergrund gebe. Zudem spielte eine Rolle, dass die Schuldfähigkeit des Angeklagten eingeschränkt war. Er hatte zur Tatzeit einen Blutalkoholwert von 2,11 Promille.
Zur Frage nach der Motivation des Täters gesellt sich auch die Frage nach der Berichterstattung. In der ersten Pressemitteilung der Polizei Mittelfranken vom 3. Januar war allerdings von Antisemitismus nicht die Rede – nur von einem »Streit zweier Männer«, der »eskalierte«. Erst ab Ende September tauchten erste Berichte über das Tatmotiv auf, obwohl schon früh klar war, dass Judenhass den Täter angetrieben haben könnte.
Nur wenige Medien, darunter der Regionalsender Franken TV, hatten zu Prozessbeginn ausführlicher über die antisemitischen Ausfälle des Täters berichtet, doch spätestens nach der Urteilsverkündung dürfte die Tat in der breiteren Öffentlichkeit als typisches Verbrechen, das im Suff geschehen ist, wahrgenommen werden.
nachahmer Aus Gerichtsreporterkreisen in Franken war zu hören, man habe die antisemitischen Äußerungen zwar zur Kenntnis genommen, aber nicht gesondert erwähnen wollen, um keine Trittbrettfahrer zu ähnlichen Taten zu motivieren.
Ein schwieriges Argument. Mehr als 1400 antisemitische und antiisraelische Straftaten gab es laut Bundesregierung 2015. Der Behauptung, dass durch detailreiche Berichterstattung Judenhass eine Bühne bereitet würde, hält Rechtsanwalt Doerfer entgegen, dass gerade die sogenannte Generalprävention nicht nur für das Strafrecht gelte, sondern sich auch in der medialen Behandlung fortsetze. »Potenzielle Nachahmer werden doch im Rechtsstaat gerade durch die schuldangemessen harte Bestrafung und dann die Berichterstattung darüber abgeschreckt«, so Doerfer.