Seit einiger Zeit wird nicht nur in Brüssel hitzig über die Frage diskutiert, ob die Europäische Union durch ihre unkonditionierten – also nicht an Bedingungen geknüpfte – Finanzspritzen für die Palästinensische Autonomiebehörde in Wahrheit das Gegenteil dessen erreicht, was sie will: nämlich den Aufbau demokratischer Strukturen im Westjordanland zu fördern und die Palästinenser so auf die Eigenstaatlichkeit vorzubereiten.
GEHÄLTER Immer wieder gibt es schwere Vorwürfe, die auch Fragen aufwerfen nach dem Sinn und Zweck der Millionenzahlungen aus dem europäischen Steuersäckel. Immerhin finanziert Brüssel rund sieben Prozent des Budgets der Palästinensischen Autonomiebehörde in Ramallah.
Mit einem als »Pégase« genannten Zahlungsmechanismus beteiligt sich die EU sogar substanziell an den Salären und Renten der Mitarbeiter des greisen PA-Präsidenten Mahmoud Abbas, der seit 2005 im Amt ist und sich in dieser Zeit erst ein einziges Mal einer demokratischen Wahl stellen musste.
Abbas wiederum hält daran fest, an die Familienangehörigen palästinensischer Terroristen – von palästinensischer Seite als Märtyrer gefeiert – fürstliche Renten auszuzahlen. Die Proteste Israels und Vorwürfe, europäische Gelder würden so indirekt auch militanten Gruppen zugutekommen, die auf der EU-Liste der verbotenen terroristischen Organisationen geführt werden, werden immer lauter.
GEBER EUROPA Nun nahm das EU-Büro der jüdischen Organisation B’nai B’rith International (BBI) die Brüsseler Subventionspolitik für die Palästinenser genauer unter die Lupe und beauftragte zwei Akademiker mit einer umfassenden Untersuchung. »Aligning Principles in Practice« (»Prinzipien mit der Praxis in Einklang bringen«) lautet der Titel des von Tommaso Virgili, aktuell Forscher am Wissenschaftszentrum für Sozialforschung in Berlin, und dem britischen Terrorismus- und Sicherheitsexperten Paul Stott verfassten Berichts.
Mehr als 300 Millionen Euro fließen jedes Jahr aus verschiedenen Töpfen des EU-Haushalts in die palästinensischen Gebiete. Erst unlängst beschloss das Europäische Parlament, die Mittel für das UN-Flüchtlingshilfswerk UNRWA nicht einzufrieren, sondern sogar weiter aufzustocken.
NARRATIVE Hinzu kommen die teils üppigen direkten Zahlungen einzelner Mitgliedsstaaten. Obwohl Europa damit der größte Geldgeber der Palästinenser und für ausschließlich dort tätige Organisationen wie das UNRWA ist, nutzt sie ihren potenziellen Einfluss in der Region kaum – schon gar nicht, um Druck zu machen für Reformen und um die Menschenrechtsverletzungen gegen Palästinenser und andere zu beenden. Zu diesem Schluss kommen auch die beiden Autoren.
Zwar formuliere Brüssel gern hehre Ziele seiner Förderpolitik. In der Praxis verfolge man dann aber einen äußert nachsichtigen Kurs –selbst gegenüber zweifelhaften Akteuren in der Autonomiebehörde und der palästinensischen Zivilgesellschaft, so die beiden Experten. Häufig würden von EU-Seite kritiklos palästinensische Narrative akzeptiert, denen zufolge die israelische Besatzung oder mangelnde Fortschritte im Friedensprozess als Ausrede herhalten müssen für die sich nicht bessernde Situation der Palästinenser.
POLITISCHE BOTSCHAFT Ende November stattete eine 20-köpfige EU-Delegation unter Leitung des deutschen Diplomaten Sven Kühn von Burgsdorff dem Gazastreifen einen Besuch ab. Ziel sei es gewesen, berichtete die palästinensische Nachrichtenagentur WAFA, sich aus erster Hand ein Bild von den Entwicklungen in der von der Hamas seit 2007 regierten Küstenenklave zu machen.
Und auch, um »eine politische Botschaft zu übermitteln«, nämlich die Forderung nach Aufhebung »der unmenschlichen Blockade des Gazastreifens und die Überwindung der nationalen Spaltung in der palästinensischen Arena gefordert wird, damit die palästinensische Regierung ihre Aufgaben im Gazastreifen wieder in vollem Umfang wahrnehmen kann.« EU-Repräsentant Kühn von Burgsdorff ließ sich von den bestellten Pressefotografen mit einem vollen Korb Erdbeeren ablichten.
Die Europäische Union sei den Palästinensern gegenüber nicht nur überaus nachsichtig, so Virgili und Stott, sondern rechtfertige die Nichteinhaltung der EU-Prinzipien und Förderkritierien durch die Palästinenser sogar noch, indem sie selbst solche politisch einseitigen Narrative bediene. Trotz bestehender Anti-Terrorismus-Klauseln poche man in Brüssel nicht auf ein Ende der Zahlungen an die Angehörigen verurteilter Terroristen – die USA unter Donald Trump hatten die Zuwendungen an die PA deshalb sogar komplett eingestellt.
ANSPRUCH Die EU gehe auch viel zu lasch mit Hass und Hetze in Schulbüchern um, die an palästinensischen Schulen verwendet werden, betonen die Autoren des Berichts. Bereits im Mai diesen Jahres hatte der israelische Inlandsgeheimdienst Schin Bet behauptet, NGOs wie das palästinensische Health Work Committee missbrauchten durch fiktive Projekte und gefälschte Lohnabrechnungen europäische Gelder für den Kauf von Waffen oder für propagandistische Zwecke – unter dem Deckmäntelchen vermeintlich karitativer Aktivitäten.
Eigentlich, befinden Stott und Virgili, habe die Europäische Union ja durchaus recht mit ihrem Anspruch, Demokratie, Stabilität und wirtschaftliche Zusammenarbeit mit den Staaten in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft zu fördern. Denn das helfe auch den Ländern in der Europäischen Union.
Um dem Anspruch aber gerecht zu werden, fordern die beiden Autoren des Bnai-Brith-Berichts, müsse Brüssel bereit sein, ein robustes System wirksamer Konditionalität entwickeln – mit klaren Forderungen hinsichtlich der Umsetzung von Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten, entschlossenem Handeln gegenüber terroristischen Aktivitäten und der Bekämpfung von Antisemitismus.
HEBEL Bei der Vorstellung des Berichts stießen auch andere Redner in dieses Horn. Der SPD-Europaabgeordnete Dietmar Köster sagte, die EU müsse sich mit Israel (»der einzigen Demokratie im Nahen Osten«) solidarisch zeigen. Dazu gehöre auch, dass man genau hinschaue, was in den Palästinensergebieten passiere, bestehende »Hebel« dann auch umlege und Veränderungen einfordere.
»Nur ein demokratisches Palästina wird in Frieden mit Israel und seiner eigenen Bevölkerung leben können«, glaubt Köster.
Der Bericht (in englischer Sprache) kann hier heruntergeladen werden.