Nicht nur gut Ding will Weile haben. So wird wohl demnächst – 20 Jahre nach dem Assoziationsabkommen der Europäischen Gemeinschaft mit Israel mit seiner wegweisenden Erklärung gegen Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus – kommen, was sich Feinde Israels schon seit Jahren wünschen: die Kennzeichnungspflicht für Produkte, die ganz oder teilweise in Siedlungen jenseits der Grünen Linie hergestellt wurden.
regeln Im April dieses Jahres wandten sich 16 EU-Außenminister mit einem Schreiben an EU-Chefdiplomatin Federica Mogherini, in dem sie forderten, die EU möge in Zukunft doch genau unterscheiden zwischen Produkten aus dem israelischen Kernland und solchen, die aus Siedlungen in den 1967 besetzten Gebieten stammten. Das war nicht der erste derartige Brief – 2013 gab es bereits eine ähnliche Initiative –, aber diesmal lagen die Kräfteverhältnisse anders, und Mogherini schritt zur Tat.
Sechs Monate später soll es so weit sein: Bis Ende 2015 will die EU verbindliche Regeln für die Kennzeichnung von Waren aus dem Westjordanland, Ost-Jerusalem und dem Golan vorstellen, die dann auch sehr schnell rechtsgültig werden könnten. Wie die Kennzeichnung genau aussehen soll, ist noch nicht klar, aber Israels damaliger Außenminister Avigdor Lieberman hat schon im April seinen europäischen Kollegen empfohlen, doch gleich einen gelben Stern auf die Produkte zu kleben.
Der EU-Vorstoß ist durchaus nicht nur symbolischer Natur: Israel exportierte in den vergangenen beiden Jahren nach Angaben des regierungsamtlichen Central Bureau of Statistics mehr als ein Viertel seiner Ausfuhrprodukte in die EU-Staaten, fast so viel wie in die USA. Ebenfalls rund ein Viertel der israelischen Importe kommt aus der EU. Während das Außenhandelsvolumen mit den USA von 2013 bis 2014 um rund vier Prozent anwuchs, sank dasjenige mit der EU um knapp drei Prozent. Das ist im Rahmen der jährlichen Schwankungen durchaus nicht tragisch und war wohl auch der wirtschaftlichen Krise auf beiden Seiten geschuldet.
Es war aber dennoch Wasser auf die Mühlen der BDS-Bewegung, die zum Israelboykott aufruft. Die von Mahmud Abbas’ palästinensischer Autonomiebehörde unterstützte BDS ist außer in den USA auch in einer ganzen Reihe von EU-Ländern aktiv, setzt Israel mit dem südafrikanischen Apartheidregime gleich und möchte es mit wirtschaftlichen Mitteln zur vollständigen Übergabe des Westjordanlandes zwingen.
Da käme eine, wie es neuerdings im EU-Jargon heißt, »Differenzierung« der Herkunftskennzeichnung gerade recht, die es erlauben soll, deutlich zu erkennen, ob israelische Produkte, die in der EU in den Handel kommen, in den besetzten Gebieten hergestellt wurden.
Aus Sicht von EU-Diplomaten ist die Kennzeichnungspflicht freilich nur der erste Schritt. Im privaten Gespräch, ohne Namensnennung, sprechen manche schon einmal aus, dass nach der »Differenzierung« für Siedlungsprodukte auch Bank- und Darlehensgeschäfte, Steuerbegünstigungen und Ausbildungsabschlüsse daraufhin abgeklopft werden könnten, ob es sich um Geschäfte mit dem israelischen Kernland oder mit den Siedlungsgebieten handelt.
banken Mit dieser Forderung erregte Mitte Juli der einflussreiche Thinktank European Council on Foreign Relations Aufsehen, als er in einem Papier der EU vorwarf, gegen eigenes Recht zu verstoßen, indem sie Siedlungsprodukte wie israelische Produkte behandle. »Für Europa und für die ganze Welt sind die Grenzen Israels diejenigen von 1967«, sagt Mattia Toaldo, Mitautor des Papiers. »Sie schließen weder die besetzten Gebiete noch Jerusalem ein.« Er leitet daraus etwa die Forderung ab, die Hebräische Universität, deren Gebäude sich teilweise in Ost-Jerusalem befinden, aus der Teilnahme an EU-geförderten Forschungsprojekten auszuschließen. Toaldo geht aber noch weiter und stellt auch die Zusammenarbeit von israelischen und EU-Banken infrage, solange der Verdacht besteht, es könne sich dabei um »materielle Unterstützung der Siedlungspolitik« handeln.
Hadi Shebli, Geschäftsträger an der Ständigen Vertretung der Palästinensischen Autonomiebehörde bei der EU, zeigte sich erfreut über die Entwicklung: Er hoffe auf einen »Schneeballeffekt«, erklärte Shebli letzte Woche in Brüssel. »Daraus wird noch etwas Größeres. Alle Produkte aus Siedlungen sollten boykottiert werden.«