Kfar Chabad, der kleine Ort und Stützpunkt der Chabad-Lubawitsch-Bewegung in Israel, liegt direkt neben dem Flughafen Ben Gurion. Am Montagabend wird vor dem »770«, einem Nachbau des ikonischen Hauptsitzes der chassidischen Organisation in New York, im strömenden Regen und im Dunkeln eine bewegende Trauerfeier abgehalten.
»Rabbi Zvi, steh auf und sag uns bitte, dass das alles nur ein fürchterlicher Traum ist«, ruft der sichtlich erschütterte Rabbiner Schneur Ashkenazi. Auch der Vater des Toten ringt bei der Beerdigung nach Worten. »Wieso musstest du schon gehen?«, fragt er. Später wird der 28-jährige Rabbiner Zvi Kogan auf dem Ölberg in Jerusalem beigesetzt.
Am Wochenende hatte die Polizei im Wüstenemirat Dubai die Leiche des Chabad-Gesandten entdeckt. Sofort war klar: Kogan war einem Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen. Sein Auto wurde in der Stadt Al Ain im Nachbaremirat Abu Dhabi, rund 130 Kilometer südlich von Dubai und unweit der Grenze zu Oman, gefunden. Im Innern des Wagens waren Blutspuren, die auf einen Kampf hindeuteten.
»Antisemitischer Terrorismus«
Auch wenn die Hintergründe des Falls zunächst nicht bekannt wurden, reagierte die Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu schockiert auf den Mord und sprach von »antisemitischem Terrorismus«. Man werde sicherstellen, dass die für den Mord Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen würden. Der Auslandsgeheimdienst Mossad sei in die Ermittlungen eingeschaltet, verlautete es aus Jerusalem.
Am Montag teilte das Innenministerium der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) dann überraschend mit, dass die mutmaßlichen Täter in der Türkei festgenommen und bereits an die Emirate ausgeliefert worden seien. Die Behörden veröffentlichten Fotos der drei Männer mit Fußfesseln und verbundenen Augen. Es handele sich um zwei 28- und einen 33-jährigen Usbeken. Ob die mutmaßlichen Täter im Auftrag oder auf eigene Faust gehandelt haben, war zunächst nicht klar.
Zvi Kogan war ein Mann der ersten Stunde gewesen. Bereits 2020, unmittelbar nach Normalisierung der Beziehungen zwischen Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten, war er nach Dubai gegangen und hatte sich gemeinsam mit weiteren Chabad-Emissären (Schluchim) darangemacht, am Persischen Golf einen Ableger aufzubauen. Rund 3500 Häuser und Einrichtungen betreibt die weltweit tätige und äußerst rührige Gemeinschaft – und das bewusst auch in Ländern, die nur eine kleine oder gar keine einheimische jüdische Gemeinschaft haben.
Zu Kogans Verantwortungsbereich gehörte auch der Betrieb des »Rimon Market«, ein 130 Quadratmeter großer Laden für koschere Lebensmittel im Dubaier Stadtviertel Jumeirah, unweit des Wolkenkratzers Burj Khalifa. Als er dort am Donnerstag mit seinem Auto aufbrach, folgten ihm offenbar die drei Usbeken.
Familiäre Wurzeln in Moldau
Der in Israel geborene Kogan hatte familiäre Wurzeln in Moldau und auch die Staatsangehörigkeit des Landes. Seine Witwe Rivky ist die Nichte eines Chabad-Rabbiners, der 2008 bei einem islamistischen Terroranschlag in der indischen Hafenstadt Mumbai getötet wurde.
Noch bevor Kogans Leiche am Sonntag entdeckt wurde, spekulierten israelische Medien bereits über eine möglicherweise geplante Entführung Kogans in den Iran, der als Racheakt des Regimes gegen die jüngsten israelischen Militäraktionen gewertet werden könne.
Etwa 3000 Juden haben sich in den vergangenen Jahren in den Emiraten angesiedelt.
Es wäre nicht das erste Mal, dass der Iran Personen aus den Emiraten verschleppen lässt. Besonders tragisch ist der Fall des Deutsch-Iraners Jamshid Sharmahd. Er wurde im Sommer 2020 vom iranischen Geheimdienst bei einem Zwischenstopp in Dubai gekidnappt und 2023 im Iran zum Tode verurteilt.
Vor vier Wochen teilte die dortige Justiz mit, Sharmahd sei hingerichtet worden. Später behauptete der Außenminister der Islamischen Republik, er sei kurz vor seiner Exekution eines natürlichen Todes gestorben. Sharmahds Tochter Gazelle zog einen Vergleich zum Fall des ermordeten Rabbiners. »Für viele ist Dubai ein Ferienziel. Aber für uns ist es ein Ort, an dem Regimekritiker verschwinden«, sagte sie der »Jerusalem Post« am Montag.
Noch ist nicht erwiesen, dass das iranische Regime auch im Fall Kogan seine Finger im Spiel hat. Die rund 3000 Juden, die sich in den vergangenen Jahren in den Emiraten angesiedelt haben, dürften gespannt auf weitere Informationen zu dem Mordfall warten.
Bislang fühlten sich die meisten Juden in den Emiraten sicher
Bislang fühlten sich die meisten von ihnen in den Emiraten sicher. Der Mord an Zvi Kogan war der erste seiner Art. Vor zwei Wochen erst sagte Ex-CDU-Chef Armin Laschet in der Düsseldorfer Synagoge den bemerkenswerten Satz: »Ein Jude ist in Teilen Abu Dhabis sicherer als in Teilen Berlins.«
Größere Demonstrationen gegen Israel wegen des Gaza-Krieges gab es in Dubai jedenfalls bisher kaum. Doch von den knapp elf Millionen Einwohnern in den VAE sind nur ein Zehntel Staatsbürger. Der Großteil stammt aus Ländern wie Indien, Pakistan, Bangladesch und anderen Staaten der Region und verdingt sich als Gastarbeiter. Unter dieser Mehrheit überwiegt die Skepsis über die Annäherungsversuche der Emirate an Israel.
Ein deutscher Geschäftsmann in Dubai, der namentlich nicht genannt werden wollte, sagte dieser Zeitung, die anfängliche Euphorie über die Abraham-Abkommen habe zwischenzeitlich einer gewissen Ernüchterung Platz gemacht. Ohnehin war die Aufbruchsstimmung ungleich verteilt: Während rund eine Million Israelis in den Jahren nach Unterzeichnung der Abraham-Abkommen die Golfstaaten besuchten, war der Besucherstrom in die umgekehrte Richtung deutlich bescheidener.
Doch seit dem Gaza-Krieg und dem 7. Oktober 2023 ist alles anders – auch auf der politischen Ebene. Israels Botschafter wurden aus den Emiraten und zuvor schon aus Bahrain zurückbeordert. Dagegen verstärkt ein anderes Land seine Präsenz vor Ort: Seit Juni vergangenen Jahres ist die Islamische Republik Iran wieder mit einem Botschafter in Abu Dhabi vertreten.