Herr Friedman, nach über 40 Jahren Mitgliedschaft sind Sie heute aus der CDU ausgetreten. War das das Ende eines längeren Prozesses oder war der Grund die von Friedrich Merz forcierte Abstimmung am Mittwoch im Bundestag?
Es gibt immer, wenn man Mitglied einer Partei ist, in konkreten politischen Fragen Divergenzen zwischen der Parteiführung und einem einfachen Mitglied. Solange man zu 50,01 Prozent überzeugt ist, dass das die beste aller vorhandenen Parteien ist, gehört das zum Kompromiss- und Toleranzerleben im politischen Spektrum aber dazu. Was allerdings gestern passiert ist, war nicht Business as usual, das war nicht Tagespolitik.
Könnte man es nicht als einmaligen Betriebsunfall ansehen, der nicht wieder vorkommen wird?
Das war kein Betriebsunfall. Jeder Politprofi musste wissen, dass es so kommen würde, wie es am Ende kam. Niemand soll jetzt die Hände in Unschuld waschen. Aber man sollte nicht daraus schließen, dass das in irgendeiner Form Teil einer Strategie gewesen wäre, sich der AfD so zu nähern, dass sie Partner werden kann. Die CDU in ihrer überwiegenden Mehrheit hat mit dieser antidemokratischen, rassistischen, antisemitischen Partei nichts zu schaffen. Allein, dass jetzt einige überhaupt so etwas über die CDU denken, ist schon eine politische Schwächung. Denn nichts ist bekanntlich wirksamer als ein Gerücht.
Waren es die fünf Punkte zur Migrationspolitik, die Sie gestört haben? Oder die Zustimmung der AfD zum CDU/CSU-Antrag?
Ich will ich jetzt gar nicht diskutieren, ob ich diese fünf Punkte auch so sehe. Das wäre Tagespolitik. Aber wir leben in ernsten Zeiten. Demokratien zerbröseln immer mehr, werden angegriffen, von innen wie von außen. In so einer Lage muss man genau prüfen, dass alle Fenster und Türen des Fahrzeugs geschlossen sind, damit es nicht im Nachhinein heißt, es sei ein Betriebsunfall passiert. Wenn sich die AfD auf den Beifahrersitz des Autos setzen kann, dann hat man genau das nicht getan. Die Union und leider auch die FDP war bereit, das Risiko einzugehen, dass nur mit der AfD eine Mehrheit zustande kommen würde. Das ist ein Tabubruch, ein Dammbruch. Mit einer Partei, die antisemitisch ist, die neonazistische Spuren in sich trägt, die die Würde des Menschen antastet, geistige Brandstiftung in die Gesellschaft trägt und die ausdrücklich nicht auf dem Boden der Demokratie steht, mit der darf es auch keinen Betriebsunfall geben.
Aber tritt man deswegen gleich aus der Partei aus, der man so viele Jahre angehört hat?
Für mich ist das eine sehr grundsätzliche Frage. Wer wie ich seit Jahrzehnten für Demokratie, gegen Antisemitismus, vor allen Dingen aber für Menschenrechte und Menschenwürde kämpft, kann bei einer so grundsätzlichen Frage nur eine grundsätzliche Antwort geben. Und die lautet: Da mache ich nicht mehr mit! Eine Strategie, wie sie Friedrich Merz und die CDU/CSU hier verfolgen, ist niemals zu rechtfertigen, denn sie nutzt letztendlich den Antidemokraten mehr als den Demokraten.
Merz hat, von wenigen Ausnahmen abgesehen, die Unionsfraktion fast komplett hinter sich gehabt. Hat es Sie verwundert, dass es so wenig Widerstand aus den eigenen Reihen gab?
Es war in den letzten Tagen erkennbar, dass die Strategie, wie wir sie gestern erlebt haben, geplant und gewünscht war. Es ist das erste Mal, dass im Deutschen Bundestag eine demokratische Partei mindestens billigend in Kauf genommen hat, dass eine rechtsextremistische Partei, deren Ehrenvorsitzende Hitler als Vogelschiss der Geschichte bezeichnet hat, gemeinsam mit ihnen stimmt. Hätten sie das nicht gewollt, hätten sie es verhindern können und müssen. Sie haben es aber nicht verhindert, sie haben es billigend in Kauf genommen. Das war für mich auch ein Grund dafür, dass ich ausgetreten bin. Ich hätte andernfalls nicht mehr in den Spiegel schauen können. Denn ich hätte als Mitglied gewissermaßen eine Vollmacht gegeben, einfach so weiterzumachen.
Glauben Sie, dass angesichts der Kritik die Unionsführung daraus Lehren ziehen wird? Oder war das nur der Auftakt für einen neuen Kurs in Richtung AfD?
Sagen wir mal so: Wenn die CDU das täte, wäre es Tod durch Selbstmord. In allen anderen Ländern haben wir gesehen, dass dann, wenn konservative Parteien ernsthaft anfangen, mit nationalistischen, antieuropäischen, aber vor allen Dingen menschenfeindlichen Parteien zu koalieren oder zu kooperieren, sie schnell überflüssig machen. Das beste Beispiel ist Österreich. Ich glaube nicht, dass die CDU in diese Richtung gehen will. Ich glaube auch nicht, dass Friedrich Merz in diese Richtung gehen will. Es gibt in der CDU auch liberale Kräfte, wie die Ministerpräsidenten Wüst in Nordrhein-Westfalen und Günther in Schleswig-Holstein, und auch viele Abgeordnete.
Wer trägt die Verantwortung?
Diesen Schaden verantworten Friedrich Merz und all jene, die ihm gefolgt sind. Man hätte Merz ja auch zurufen können: Entspann dich bitte, Friedrich, in dreieinhalb Wochen wirst du Chef der stärksten Fraktion und damit der Kanzlerschaft sehr nahe sein. Dann verhandelst du das in der neuen Koalition, anstatt jetzt ein schlechtes Theaterstück zu inszenieren. Das war ja eine Entschließung, die nicht einmal Gesetzescharakter hat.
Ist Merz nach all dem überhaupt fähig, Bundeskanzler zu werden?
Wir sollten jetzt mal die nächsten drei Wochen abwarten, dann werden wir sehen. Wir sollten auch sehr genau beobachten, was morgen im Bundestag stattfinden wird. Es steht ja noch eine Abstimmung an am morgigen Freitag.
Merz ist am Mittwoch schon ein wenig zurückgerudert, hat unmittelbar nach der Abstimmung SPD und Grüne eingeladen, seinem Gesetzentwurf zuzustimmen ...
Aber zuvor hat er ja gesagt: Friss oder stirb!
Hätten die anderen Parteien nicht auch mehr Kompromissbereitschaft zeigen müssen?
Ich würde mir wünschen, dass die demokratischen Parteien es nicht soweit hätten kommen lassen. Die Probleme in der Zuwanderungspolitik und das Anwachsen der AfD haben alle demokratische Parteien zu verantworten. Als demokratisches Land können wir nicht auf Dauer ein so hohes Maß an Rechtsbrüchen ertragen. Wir haben Defizite in der Verwaltung, bei Abschiebungen. Wir haben den importierten Antisemitismus; der Werteblick eines Teils der Migranten ist mit unseren Vorstellungen nicht vereinbar. Aus all diesen Elementen soll man bitte einen Vorschlag konstruieren – aber mit einer eigenen demokratischen Mehrheit. Das ist der Job eines Politikers.
Wir schwierig war es für Sie, aus der CDU auszutreten?
Ich bin seit 25 Jahren das, was man für gewöhnlich eine »Karteileiche« nennt. Das entspricht auch den Voraussetzungen meines Berufes, den ich seit Jahrzehnten ausübe. Es ist der eines Journalisten. Ich habe Fernsehsendungen im politischen Bereich gemacht und bin sehr stolz darauf, dass im Rahmen dieser Arbeit niemals irgendjemand den Verdacht geäußert hat, ich würde aufgrund meiner Parteizugehörigkeit bestimmte Kommentare machen. Ich habe sehr oft auch Auseinandersetzungen innerhalb der Partei geführt, mit Helmut Kohl zum Besuch in Bitburg 1985 zum Beispiel, mit Roland Koch über die doppelte Staatsbürgerschaft, in der Spendenaffäre zu den sogenannten jüdischen Testamenten. Es gab immer Irritationen. Aber ich hatte immer eine Übereinstimmung mit der Partei und ihrem Handeln von mehr als 50 Prozent. Erst recht mit Angela Merkel als Parteivorsitzender und Kanzlerin. Nur einmal, vor 21 Jahren, habe ich mein politisches Kapital verloren. Meine Handlungen haben damals dazu geführt, dass meine Glaubwürdigkeit infrage gestellt wurde. Ich habe alle meine Ämter zurückgegeben, habe bei null begonnen und mir Glaubwürdigkeit innerlich wie äußerlich wieder aufgebaut. Das wichtigste Kapital eines Menschen, der wie ich in der Öffentlichkeit steht, ist das Vertrauen, dass das, was ich sage, auch so gemeint ist. Und darum war das für mich die entscheidende Frage: Kann da einfach still bleiben und keine Konsequenzen ziehen? Die Antwort ist klar: Nein, ich kann es nicht. Deshalb bin ich heute ausgetreten.
Wer gewinnt Ihrer Meinung nach die Bundestagswahl?
Ich wäre ein Hochstapler, würde ich heute auf diese Frage eine Antwort geben. Die Wahlen sind in diesem Jahr extrem dynamisch. Prognosen fallen schwer. Die Wirkung dessen, was gestern passiert ist, ist noch nicht abschätzbar.
Mit Michel Friedman sprach Michael Thaidigsmann.