Meinung

»Nie wieder« ist wirklich jetzt

CSU-Generalsekretär Martin Huber Foto: picture alliance / dts-Agentur

Vor kurzem wurde unser Grundgesetz 75 Jahre alt – ein Dreivierteljahrhundert Frieden, Freiheit und Demokratie in Deutschland. Freilich ein Grund zum Feiern – verbunden aber mit der nicht ganz überraschenden Erkenntnis, dass diese Errungenschaften weder Selbstläufer noch selbstverständlich sind.

Es ist Zeit für eine ehrliche und vielleicht längst überfällige Bestandsaufnahme: Die offene Gesellschaft ist bedroht. Diejenigen, die die freiheitlich-demokratische Grundordnung hintertreiben oder gar beseitigen wollen, werden täglich lauter. Keine Frage: Die Mütter und Väter unseres Grundgesetzes haben mit Weitsicht und Umsicht agiert. Aber eine Verfassung kann nur so wehrhaft sein wie die Bürger, die sie tagtäglich mit Leben füllen.

Es gilt, jede Form von Extremismus gleichermaßen entschlossen zu bekämpfen – von links wie von rechts, ebenso wie jede Art von religiösem Extremismus. Insbesondere gegenüber unseren jüdischen Mitbürgern stehen wir dabei in besonderer Verantwortung.

Offen zur Schau getragener Antisemitismus war über Jahrzehnte in der Schmuddelecke

Antisemitismus gab und gibt es zu jeder Zeit – das ist so traurig wie unbestritten. Aber: Der gerade offen zur Schau getragene Antisemitismus war in weiten Teilen über Jahrzehnte in der Schmuddelecke beheimatet – gerade findet eine Enthemmung in einer neuen Qualität statt. Von rechtsextremen Exzessen auf Sylt über linken Antisemitismus auf Kulturveranstaltungen wie documenta, Berlinale oder ESC bis hin zu islamistisch motivierten Übergriffen auf Jüdinnen und Juden in Deutschland: Extremistisches Gedankengut schlägt uns unverblümt entgegen.

Antisemitismus kommt immer mehr unter einem pseudointellektuellen Mäntelchen ans Licht – meist als eine Solidarisierung mit Palästina und nicht selten und unverhohlen gepaart mit Israel- und Judenhass.

Der Antrag auf Haftbefehl gegen den israelischen Regierungschef Benjamin Netanjahu und Verteidigungsminister Joav Galant durch den Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs Karim Khan ist eine ungeheuerliche Gleichsetzung der Ausübung des Selbstverteidigungsrechts Israels mit dem Terror der Hamas.

Wenn Staaten wie Spanien, Norwegen und Irland sich genau jetzt für die offizielle Anerkennung Palästinas als Staat aussprechen, frage ich mich: Soll die Hamas für ihren Terror und den Missbrauch der eigenen Bevölkerung als Schutzschild auch noch belohnt werden? Wäre es nicht gerade jetzt an der Zeit, stattdessen das Existenzrecht Israels entschieden zu betonen?

Toleranz darf nicht mit Wegschauen gegenüber Intoleranz verwechselt werden

Dazu kommen gefährliche offene Flanken von linken Vertretern der deutschen Bundesregierung: Claudia Roths langes Schweigen und ausbleibende Konsequenzen nach den antisemitischen Äußerungen auf der Berlinale, ein Wirtschaftsminister Robert Habeck, der mit vorschnellen und undifferenzierten Äußerungen Öl ins Feuer einer ohnehin aufgeheizten Stimmung gießt, eine Außenministerin Annalena Baerbock, für die der 7. Oktober 2023 für Palästinenser genauso schrecklich wie für Israelis war, oder ein Bundeskanzler Olaf Scholz, der widerwärtige Vergleiche mit der Schoa durch Mahmoud Abbas unwidersprochen stehen lässt.

Dieses Verhalten leistet Propagandisten des linken Antisemitismus Vorschub. Auch dieser muss entschieden bekämpft werden. Ich erwarte hier deutlich mehr Haltung von einer deutschen Bundesregierung. Mehr noch: Demokraten müssen parteiübergreifend »Haltung« zeigen – ein Begriff, den Linke gern für sich pachten wollen. Bei ihnen gehört es zum rhetorischen Einmaleins, »Haltung« zu zeigen. Im Zweifel gegen alles sein, was nicht zum eigenen Weltbild passt, was nicht links ist. Welch Doppelmoral, dass ausgerechnet der Antisemitismus im linken Lager gerade immer mehr salonfähig wird und die viel zitierte Haltung hier oftmals ausbleibt. Wenn mit Blick auf den Islamismus Religionsfreiheit der Deckmantel für die Unfreiheit einzelner Gruppen sein darf, geben wir ein großes Stück unserer freiheitlichen Demokratie auf. Toleranz darf nicht mit Wegschauen gegenüber Intoleranz verwechselt werden.

Ich erwarte auch einen starken Rechtsstaat, der durchgreift und nicht zusieht, wenn unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung untergraben wird. Da gibt es eine einfache Grundregel: Wer in Deutschland leben will, muss sich zu unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekennen. Diese muss aber konsequent angewendet werden. Migration ohne Integration ist eine linke Lebenslüge, die von Anfang an zum Scheitern verurteilt war. Das Ergebnis sehen wir jetzt auf unseren Straßen. Dass wir in Deutschland darüber debattieren müssen, ob ein Bekenntnis zum Existenzrecht Israels als Kriterium für eine Einbürgerung nötig ist, macht bisweilen sprachlos.

Es braucht auch eine klare Kante bei Blockaden und antisemitischen Vorfällen an Universitäten

Es braucht auch eine klare Kante bei Blockaden und antisemitischen Vorfällen an Universitäten – durch die Hochschulen selbst und den Rechtsstaat. Auch eine Exmatrikulation und die Ausweisung von internationalen Studenten muss hier möglich sein – dafür muss die Rechtslage geändert werden.

Zudem gilt es, das Strafrecht im Falle der Forderung nach einer Abschaffung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu verschärfen, Vereine und Vereinigungen des radikalen Islams konsequent zu verfolgen und zu verbieten, Islamisten – wo immer es möglich ist – konsequent abzuschieben und ihnen bei doppelter Staatsbürgerschaft den deutschen Pass zu entziehen.

Organisationen, die sich nicht zum Existenzrecht Israels und unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekennen wollen, dürfen keine Fördergelder mehr vom deutschen Staat erhalten. Das Demokratiefördergesetz hintertreibt diesen Ansatz. Jegliche Fördergelder für die palästinensischen Gebiete – auch auf Ebene der Vereinten Nationen – müssen auf den Prüfstand. Die Leiche von Shani Louk wurde in einem Tunnel unter einem Gebäude der UN-Behörde UNRWA, finanziert von der deutschen KfW, gefunden. Die Unterwanderung der UNRWA durch die Hamas und die Verstrickung in Gräueltaten vom 7. Oktober sind längst kein Geheimnis mehr. Deutschland hatte die Zahlungen im Januar richtigerweise gestoppt, aber im April wieder aufgenommen. Ein schwerer Fehler. Dass Deutschland 2022 mit über 200 Millionen Euro das zweitgrößte Geberland für die UNRWA war, ist verstörend. Diese groteske Co-Finanzierung der Hamas muss umgehend eingestellt werden. Wir brauchen vollständige Transparenz und Kontrolle. Es darf nicht sein, dass mit Hilfsgeldern der Terror der Hamas finanziert wird.

»Ja, aber« droht nicht mal ein Jahrhundert nach der Schoa salonfähig zu werden

Die Solidaritäts-Kundgebung für Israel vor einigen Monaten am Brandenburger Tor war bewegend. Dass unter anderem in ein und derselben Stadt nur ein paar Straßen weiter und zeitweise mit mehr Teilnehmern bei Demonstrationen Israelflaggen verbrannt und antisemitische Parolen verbreitet werden, ist beschämend. Und dass einige eine scheinbar ausgleichende Position vertreten, wo es nicht das leiseste »Ja, aber« geben darf, ist brandgefährlich. Das »Ja, aber« droht nicht mal ein Jahrhundert nach der Schoa salonfähig zu werden.

Das muss uns Sorge bereiten, aber auch Kampfgeist hervorrufen. »Nie wieder ist jetzt« darf nicht zu einer hohlen Phrase verkommen, die einmal im Jahr anlässlich des Holocaust-Gedenktags in den sozialen Netzwerken mit einem wohlklingenden Hashtag kursiert. »Nie wieder ist jetzt« muss Tag für Tag mit Leben gefüllt und verteidigt werden – so, wie unser Grundgesetz.

Ich appelliere hier auch an die Zivilcourage jedes Einzelnen und die Besinnung auf unsere bürgerlichen Werte, die heute vielleicht gefragter sind denn je. Zu unserer bürgerlich-konservativen Haltung als Union gehört das klare Bekenntnis zum Existenzrecht Israels, zu einem starken Rechtsstaat, aber auch zur Eigenverantwortung. Jeder einzelne Bürger trägt diese Verantwortung.

In diesen Zeiten ist es wichtig, den citoyen in uns stärker herauszustellen

In dieser Tradition steht der citoyen von Jean-Jacques Rousseau. Er steht für den Staatsbürger, der auf Grundlage der Aufklärung und den Werten der Französischen Revolution Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit aktiv am Gemeinwesen teilnimmt und dieses eigenverantwortlich prägt. Demgegenüber setzt Rousseau den bourgeois, dem es vorrangig um die Sicherung seiner eigenen (wirtschaftlichen) Existenz geht. Daraus lässt sich schlussfolgern: Der bourgeois trägt ausschließlich für sich selbst Verantwortung, der citoyen darüber hinaus auch für das Gemeinwohl.

In diesen Zeiten ist es wichtig, den citoyen in uns stärker herauszustellen. Die bürgerliche Mitte ist das derzeit größte politische Potenzial. Es müsste also ein Leichtes sein, diese Werte zu bewahren. Sie ist aber oftmals zu leise. Sie muss so laut sein, dass laute Minderheiten nicht mal im Ansatz den Eindruck haben können, eine gefühlte Mehrheit zu vertreten. Es geht hier um unsere historische Verantwortung, es geht aber auch um mehr: Wir sind auch eine Wertegemeinschaft. Und gerade jetzt schlägt die Stunde der Bürgerlichen, diese laut zu verteidigen und Haltung zu zeigen.

Wenn das scheinbar Gewisse plötzlich ungewiss scheint und »Nie wieder ist jetzt« zur hohlen Phrase zu verkommen droht, müssen wir unsere Haltung umso selbstbewusster vertreten. Für die Freiheit und die Demokratie. Gegen jegliche Form von Extremismus, Antisemitismus, Hass und Hetze. Das muss uns als Demokraten einen – in guten wie in herausfordernden Tagen, bei Rückenwind und Gegenwind.

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