Der Populismus hat Corona. Die nationalen Alleingänge, die markigen Entscheidungen »starker Männer« und das Desinteresse an wissenschaftlicher Politikberatung erweisen sich nicht als Erfolgsrezepte im Umgang mit einer Pandemie.
Der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro, der britische Premier Boris Johnson und US-Präsident Donald Trump versäumten kostbare Zeit, weil sie umfassende Maßnahmen zu lange ablehnten, und ließen ein verantwortungsbewusstes Krisenmanagement kaum erkennen. Ihre Länder gehören zu denen, die von der Pandemie besonders stark getroffen wurden.
vertrauen Doch während andernorts die Exekutive von der Krise profitiert und die Regierungen unerwartet viel Zustimmung erhalten, ist das Vertrauen in die populistischen »Macher« brüchig. Sogar Donald Trump verzeichnet inzwischen sinkende Umfragewerte.
Auch in der Opposition fallen viele Nationalpopulisten deutlich zurück, etwa in Frankreich und Italien. Die Lombardei, in der die rechtspopulistische Lega des früheren italienischen Innenministers Matteo Salvini die Regierung stellt, leidet am meisten unter der Infektionswelle.
Auch die AfD hat zurzeit Probleme. Groß geworden in der »Flüchtlingskrise« 2015, schafft sie es nicht, sich in der Corona-Krise glaubhaft zu positionieren.
Auch die AfD hat zurzeit Probleme. Groß geworden in der »Flüchtlingskrise« 2015, schafft sie es nicht, sich in der Corona-Krise glaubhaft zu positionieren. Das trifft die nationalpopulistische Partei in einer Lage, in der die Beobachtung ihres rechtsextremen »Flügels« durch den Verfassungsschutz interne Konflikte verschärft hat. Bei führenden Meinungsforschungsinstituten liegt sie seit Mitte April nur noch bei neun Prozent.
Der Politikwissenschaftler Cas Mudde hat in einer internationalen Vergleichsstudie 2007 festgestellt, dass mehrere Faktoren für den Erfolg rechtspopulistischer Parteien verantwortlich sind: erstens die »Nachfrage« nach ihren Inhalten. Die Parteien müssen zweitens ein »Angebot« machen, zum Beispiel in programmatischer oder personeller Hinsicht. Es kommt darauf an, wie geschlossen sie agieren. Drittens müssen sich günstige Gelegenheiten bieten, um die Wähler zu erreichen.
wahlerfolge Das Wählerpotenzial ist vorhanden. Die Wahlerfolge der AfD entsprechen ungefähr den Werten, die für geschlossen rechtsextreme Einstellungen ermittelt werden, gehen aber nicht darüber hinaus.
Seit der Bundestagswahl 2017 hat die AfD ihre Wähler, in absoluten Zahlen, in etwa halten können. Dies gelang ihr sogar bei der Hamburger Bürgerschaftswahl Ende Februar, wo ihr relativ knappes Abschneiden Ergebnis einer erhöhten Wahlbeteiligung war.
Das Bild vom versagenden Staat, der unter Zuwanderungsdruck zerfällt, erweist sich als falsch.
Die AfD kann ihr Wählerpotenzial mobilisieren, ausschöpfen und halten, derzeit aber nicht ausweiten. Es ist der Partei zwar gelungen, günstige Gelegenheiten medial auszunutzen, aber deutlich schwerer gefallen, skandalisierbare Situationen selbst zu erzeugen. Im Februar 2020, als sich Covid-19 bereits pandemisch ausbreitete, unterstrich die AfD während der Regierungsbildungskrise in Thüringen, dass sie aktiv an einer Destabilisierung des politischen Systems arbeitet.
agenda Eine eigenständige Agenda kann die AfD indes bis heute nicht setzen. Profilierte Ressortspezialisten hat sie nicht aufgebaut, echte Expertise fehlt.
Dies gilt vor allem in den aktuell besonders wichtigen Themenfeldern Wirtschafts-, Sozial- und Gesundheitspolitik, wo die AfD-Positionen unklar und widersprüchlich bleiben. Der »Spiegel« berichtete am 20. April, dass sich die Parteiführung mit einer relativ maßvollen Corona-Krisen-Agenda nicht einmal in der Bundestagsfraktion gegen die Bagatellisierung der Pandemie durchsetzen konnte.
In der existenzbedrohenden Krise vertrauen die Menschen den Qualitätsmedien und der Wissenschaft stärker als den irrationalen Randbezirken der sozialen Medien. Die Krisenbewältigungsfähigkeit des politischen Systems in unserer föderalen, parlamentarischen Demokratie ist viel höher, als die AfD über Jahre behauptet hat.
Spaltung der Gesellschaft ist die Erfolgsvoraussetzung und das Ziel der Nationalpopulisten. Gegenwärtig wächst aber das Bedürfnis nach Zusammenhalt.
überzeugungskraft Das Bild vom versagenden Staat, der unter Zuwanderungsdruck zerfällt, erweist sich als falsch. Solange ein wirtschaftlicher Crash verhindert werden kann, fehlt es der rechtsextremen Untergangserzählung an Überzeugungskraft. Im Rückblick zeigt sich, dass die Situation 2015 zwar Teilbereiche von Staat und Gesellschaft vor Probleme führte, aber keineswegs eine Katastrophenlage erzeugte, wie sie im Zuge der Pandemie durchaus zu befürchten bleibt.
Spaltung der Gesellschaft ist die Erfolgsvoraussetzung und das Ziel der Nationalpopulisten. Gegenwärtig wächst aber das Bedürfnis nach Zusammenhalt, und die Menschen hoffen auf politische Stabilität. Zugleich erkennen wir, in wie hohem Maße jene schlecht bezahlten und unsicheren Arbeiten in der Pflege, in der Logistik, im Einzelhandel, die unsere Versorgung garantieren, von Menschen »mit Migrationshintergrund« ausgeübt werden, gegen die die Rechtspopulisten polemisieren. Auch daran sollten wir uns erinnern, wenn die Krise überwunden ist.
Der Autor ist Leiter der Emil Julius Gumbel Forschungsstelle Antisemitismus und Rechtsextremismus am Potsdamer Moses Mendelssohn Zentrum.