Herr Meisner, kürzlich waren Sie als Buchautor zu einer Veranstaltung der Jüdischen Gemeinde Frankfurt eingeladen zum Thema »Rechtsextreme in Sicherheitsbehörden«, die wegen Corona abgesagt wurde. Gerade Hessen gerät immer wieder in die Schlagzeilen – in Frankfurt waren Polizisten offenbar in die Bedrohung einer Anwältin durch einen »NSU 2.0« involviert, in Kassel wurde Walter Lübcke ermordet, in Hanau ein rechtsextremer Anschlag verübt. Warum immer wieder Hessen?
Vielleicht kommt die Frage auch daher, dass viele immer noch glauben, dass es nur in Ostdeutschland besondere Probleme mit Rechtsextremismus gibt. Sachsens Vize-Ministerpräsident Martin Dulig (SPD) hat schon vor Jahren gesagt, unter Polizisten gebe es relativ viele Anhänger von AfD und Pegida. Wir wissen heute: Das ist ein gesamtgesellschaftliches Problem – und das nicht nur in Deutschland. Hessen ist eines der Bundesländer, in denen rechte Gewalt lange Zeit verharmlost wurde. Rechte Polizisten konnten sich hier – wie fast überall – sicher sein, dass ihre zum Teil offen zur Schau getragenen ideologischen Selbstverortungen wenig bis gar keine Konsequenzen haben würden. Landauf, landab wird immer noch und immer wieder relativiert, leider nicht nur in Hessen. Seda Basay-Yıldız, die angesprochene Anwältin, hat das Vorwort zu unserem Buch beigesteuert. Sie schreibt dort: »Wer immer nur von Einzelfällen spricht, hat die Dimension des Problems nicht verstanden.« Das ist ein Aspekt, der sich kreuz und quer durch die Führung von Bundeswehr, Polizei, Verfassungsschutz und anderen Sicherheitsbehörden zieht.
Wie groß ist die Dimension?
Wir haben es in jedem Fall mit einem wachsenden Problem zu tun – und mit einem lange vernachlässigten. Es fehlen aber noch immer belastbare Daten und Zahlen. Der Militärische Abschirmdienst hat für die Bundeswehr mehrere Hundert Verdachtsfälle identifiziert, besonders viele beim Kommando Spezialkräfte im Vergleich zur kleinen Zahl dieser Elitesoldaten. Wir zitieren in unserem Vorwort aus dem Verfassungsschutzbericht – besser gesagt: Wir zitieren nicht daraus. Der aktuelle Bericht für 2018 umfasst 388 Seiten, aber enthält keine einzige Zeile zu Rechtsradikalen in den Sicherheitsbehörden.
Was macht Uniformberufe für Rechtsradikale attraktiv?
Zum einen sind Sicherheitsbehörden auch ein Spiegelbild einer Gesellschaft, die etwa in manchen Bundesländern zu einem Viertel für die AfD stimmt. Zum anderen eignen sich solche Behörden aus Sicht von Rechtsradikalen, um sich mit Munition, Waffen und Insiderwissen zu versorgen. Das zeigt auch der Frankfurter Fall: Die Daten, die zur Bedrohung von Seda Basay-Yıldız genutzt wurden, stammen aus einem Polizeicomputer.
Wie groß ist der Vertrauensverlust?
Immens. Und das nicht nur aufgrund der Vorfälle in Behörden, sondern auch nach den rechten Anschlägen der vergangenen Zeit. Das merkt man auch an den Reaktionen beispielsweise des Zentralrats der Juden, der sich nicht nur nach Halle, sondern auch nach Hanau sehr besorgt gezeigt hat und regelmäßig auf die Radikalisierung der AfD hinweist. Wenn über rechtsterroristische Attentate wie in Hanau und Halle gesprochen wird, heißt es von Politikern oft: »Das ist ein Anschlag auf uns alle.« In Wirklichkeit gelten solche rassistischen Taten speziell Menschen, die aufgrund ihrer Hautfarbe, vermeintlichen oder realen Herkunft oder Religionszugehörigkeit als »anders« markiert werden – sowohl von den Attentätern als auch von deren parlamentarischen Stichwortgebern – und die also noch einmal ganz anders betroffen sind.
Ergeben sich aus den Recherchen zum Buch auch Erkenntnisse zu Antisemitismus in den Sicherheitsbehörden?
In fast allen bislang bekannt gewordenen rechtsextremen Chatgruppen von Polizisten werden der Nationalsozialismus verherrlicht und die Schoa geleugnet. Antisemitismus ist wie auch Rassismus ein Kernelement rechtsextremer Ideologie und Radikalisierung.
Was muss sich ändern, wenn Behörden Vertrauen zurückgewinnen wollen?
Es ist wichtig, dass Polizistinnen und Polizisten, Soldatinnen und Soldaten, die kritisch mit dem Thema umgehen, gestärkt und nicht als Nestbeschmutzer beschimpft werden. Sie müssen ermutigt werden, solche Vorgänge anzuzeigen. Wir sind sehr erfreut, dass unser Buch auch in den Führungsetagen von Polizei und Bundeswehr viel gelesen wird. Dass die Jüdische Gemeinde Frankfurt eine Veranstaltung dazu plante – und hoffentlich nachholen kann –, zu der auch der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) gekommen wäre, ist ein Signal dafür, dass das Thema in den Behörden ernster genommen wird als noch vor ein paar Jahren.
Hat das Folgen für den Aufklärungswillen?
Entscheidend ist natürlich, ob immer nur so viel zugegeben wird, wie wirklich unabweisbar ist, oder ob tatsächlich versucht wird, alles aufzuklären. Es ist ein hoffnungsvoller Anfang, dass die Diskussion in den Behörden breiter geführt wird, auch an der Basis. Ich glaube, es gibt zumindest Verschiebungen.
Zum Beispiel?
Bleiben wir beim Verfassungsschutz: Dessen langjähriger Präsident, Hans-Georg Maaßen, bewegt sich ja mit der Werteunion am rechten Rand der CDU, quasi als Türöffner zur AfD. Seine Amtszeit waren verlorene Jahre in der Bekämpfung des Rechtsextremismus – ohne jeden Aufklärungswillen. Das ist ein Unterschied zu seinem Nachfolger Thomas Haldenwang. Wir haben etwa Hinweise darauf, dass es im nächsten Verfassungsschutzbericht ein eigenes Kapitel zu diesem Thema geben soll. Ich glaube, das Reden von Einzelfällen bis hin zum Negieren des Problems, das funktioniert nicht mehr.
Manche aus den aufgedeckten rechten Netzwerken in den Behörden fantasieren von einem Tag X, an dem die gesellschaftliche Ordnung zusammenbricht, und bereiten sich darauf vor. Wie könnte sich die Corona-Krise auswirken?
Wenn man verfolgt, dass im Kontext Corona-Krise von Innenminister Horst Seehofer erwogen wird, das Asylrecht partiell auszuhebeln, dann mag man sich nicht vorstellen, dass Beamte mit rechtsradikalen Gedanken solche Maßnahmen administrativ durchsetzen. Zudem geht die Krise auch mit der Einschränkung von Freiheitsrechten und nationalistischen Gedanken einher. Gerade in Krisensituationen ist es noch wichtiger als ohnehin schon, dass man sich darauf verlassen kann, dass Staatsdiener zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehen.
Mit dem Autor und Mitherausgeber des Buches »Extreme Sicherheit. Rechtsradikale in Polizei, Verfassungsschutz, Bundeswehr und Justiz« sprach Martin Steinhagen.