Philipp Mißfelder verfolgt die parlamentarische Konkurrenz durchaus mit Sympathie. »Ich habe mich gefreut«, sagt der CDU-Politiker, »als ich hörte, dass die Linkspartei sich überraschend für Gilad Schalit einsetzt.« Der israelische Soldat, der seit viereinhalb Jahren von der Hamas gefangen gehalten wird, soll endlich freikommen. Das fordert die Linkspartei im Bundestag. Doch für ihren Antrag möchte Mißfelder nicht stimmen. Die Linie der CDU/CSU, an der auch der Vorsitzende der Jungen Union und Obmann der Partei im Auswärtigen Ausschuss nicht rüttelt, lautet: keine gemeinsamen Anträge mit der Linkspartei!
Außerdem, so heißt es bei der Union, habe gar nicht die Linkspartei und ihr außenpolitischer Sprecher Wolfgang Gehrcke die Idee zu einer solchen Entschließung gehabt. »Niemand kann das alleinige Urheberrecht an diesem Antrag für sich reklamieren«, betont Mißfelder. Doch Gregor Gysi, Fraktionschef der Linkspartei, sieht das anders. Er schimpft über den »Ideenklau«. Gehrcke hebt hervor, er habe den Wortlaut seines Entschließungsantrags bei einem Abendessen vorgetragen, zu dem Außenminister Westerwelle (FDP) eingeladen hatte. »Ich bin wie selbstverständlich davon ausgegangen, dass das von allen Parteien getragen wird.«
Ganz falsch liegt er da wohl nicht: In der nächsten Woche wird der Bundestag in einer Entschließung die Hamas dazu auffordern, Gilad Schalit freizulassen. Aber Union, FDP, SPD und Grüne tun dies in einem Entwurf der CDU/CSU – die Linke mit einem eigenen Antrag.
Mißfelder weist den Vorwurf des »Ideenklaus« zurück: »Überlegungen gab es bereits im Sommer in allen Fraktionen, gerade auch nach Gesprächen mit jüdischen Organisationen.« Gehrcke hingegen betont: Der Vorschlag sei bei einem Gespräch zwischen Gregor Gysi und dem Generalsekretär des Zentralrats der Juden, Stephan J. Kramer, aufgekommen. Er habe sie dann nur für einen Antrag entsprechend ausformuliert.
sturheit Grünen-Politiker Jerzy Montag, der die deutsch-israelische Parlamentariergruppe leitet, versteht die Aufregung nicht. Es sei ja nichts Ungewöhnliches, dass Ideen anderer Parteien übernommen würden. »Ob man da unbedingt von ›Ideenklau‹ sprechen muss, weiß ich nicht.« Aber Montag kritisiert auch die CDU/CSU: »Es geht darum, die Linke auszugrenzen. Schuld daran ist die Sturheit der Union.« Gerade bei einer Frage wie der Solidarität mit Gilad Schalit hat Montag kein Verständnis für derartiges Verhalten. »Das sage ich, obwohl ich überhaupt keine Sympathien für die Linken habe.« Auch Gehrcke zeigt sich empört. »Bei solch einem humanitären Akt muss man Gemeinsamkeit zeigen.« Und: »Auch Israel sollte palästinensische Gefangene freilassen.« Derartige Formulierungen, die Hamas und Israel zumindest als gleich zu behandelnde Kombattanten erscheinen lassen, haben Gehrcke in der Vergangenheit zum Teil heftige Kritik eingebracht.
»Dass der Antrag der Linken von Wolfgang Gehrcke formuliert wurde, hat mich überrascht«, sagt denn auch Philipp Mißfelder. »Aber der Lackmustest ist nicht die Freilassung von Schalit«, das sei vielmehr die Haltung der Linkspartei zur Hamas. Dieser Vorwurf ärgert wiederum Gehrcke. »Die CDU hat viel mehr Kontakte zur Hamas als die Linke. Wir haben politisch mit denen nichts am Hut, das ist eine reaktionäre Organisation.« Nur reden müsse man halt mit ihr.
Gehrcke gilt, anders etwa als Gregor Gysi oder die Vizepräsidentin des Bundestags Petra Pau, in der Linkspartei als einer derjenigen, die sich gerne als »israelkritisch« bezeichnen. Manche vermuten, er sei vielleicht ein wenig gemäßigter oder auch nur taktisch versierter als offene Hamas-Freunde wie etwa Norman Paech, Ulla Jelpke und Sahra Wagenknecht. Dieser sich antiimperialistisch gebende Rand der Partei kreidet allerdings Gehrcke seinerseits an, vor »Israel-Lobbyisten« den Kotau gemacht zu haben.
Kriegspolitik Schon vor zwei Jahren, zum 9. November 2008, verhinderte die CDU/CSU, dass die Linke sich an einem Entschließungsantrag beteiligte, mit dem an den 70. Jahrestag der Pogromnacht erinnert werden sollte. Diese kopierte daraufhin den Entwurf von Union-SPD-Grüne-FDP in einem eigenen Antrag und stimmte so indirekt dem gleichen Text zu. Elf Linke-Abgeordnete nahmen damals nicht an der Abstimmung teil. Hier werde »versucht, diejenigen als antisemitisch und antiamerikanisch zu diskreditieren, die Kritik an der Kriegspolitik von NATO, USA und Israel äußern«, empörten sie sich. Zu den Abweichlern gehörte damals auch Wolfgang Gehrcke.