Das Aus für die Zentrale Stelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg ist nur noch eine Frage der Zeit. Doch wenn die Behörde, in der Staatsanwälte bis zum heutigen Tag NS-Verbrechern hinterher-recherchieren, eines Tages schließt, drohen dort archivierte Anfragen der Versorgungsämter der Bundesländer verloren zu gehen. Das ist die Befürchtung der Historiker Stefan Klemp und Martin Hölzl.
Die beiden Wissenschaftler haben im Auftrag des Bundessozialministeriums und des Simon Wiesenthal Center für einen Bericht über die Erfahrungen mit den Verfahren zur Aberkennung der Kriegsopferrente für NS-Straftäter recherchiert.
aktenvernichtung Dabei erfuhren sie, dass das Bundesarchiv beabsichtigt, Akten, die derzeit in der Zentralstelle lagern, zu vernichten. Es handelt sich um Aktenstücke zu Anfragen nach NS-Tätern, die eine Kriegsopferrente erhalten. Es soll sich um mehrere Regalmeter von Schriftwechseln mit den Versorgungsämtern und Aktennotizen handeln – etwa 60 Aktenordner, insgesamt rund 26.000 Anfragen.
»Wenn das passiert, dann wäre es angesichts der Tatsache, dass viele Versorgungsakten bereits vernichtet sind und viele Länder diese Akten nicht an die Archive abgegeben haben, unmöglich, die Umsetzung dieses Gesetzes weiter aufzuarbeiten«, heißt es in dem Schlussbericht der Historiker. Sie halten es deshalb für »dringend erforderlich«, die Aktenbestände für weitere historische Studien aufzubewahren.
Seit Aufnahme ihrer Arbeit im Dezember 1958 hat die Ludwigsburger Zentralstelle insgesamt 7569 Vorermittlungsverfahren eingeleitet – gegen KZ-Aufseher und andere, auch ausländische SS-Leute. Zwölf Vorermittlungsverfahren sind derzeit noch anhängig. Das Prozedere ist: Nach einer Voruntersuchung leiten die Ludwigsburger Staatsanwälte ihre Erkenntnisse an die zuständigen Anklagebehörden weiter, damit die eventuell Anklage gegen NS-Straftäter erheben.
Seit 1998 der sogenannte Zusatzparagraf 1a des Bundesversorgungsgesetzes in Kraft getreten ist, sind die Versorgungsämter gehalten, durch Regelanfrage zu prüfen, ob möglichen NS-Tätern ihre Kriegsopferrente gestrichen wird. Dabei prüft die Zentralstelle ihre Erkenntnisse über SS-Mitglieder, Wehrmachtsangehörige, NSDAP- Mitglieder, die sich eventuell strafbar gemacht haben, indem sie gegen »Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen« haben. Wenn das der Fall ist, müsste ihre Rente gestrichen werden.
schliessung In absehbarer Zeit steht allerdings die Schließung der in Baden-Württemberg gelegenen Zentralstelle an, denn nur wenige NS-Verbrecher leben überhaupt noch. Der Aktenbestand, so sieht es eine Vereinbarung vor, wird nach dem Ende der Strafverfolgungsbehörde dann in den Besitz des Bundesarchivs übergehen, das bereits jetzt eine Zweigstelle in Ludwigsburg un-terhält. Dort aber gibt es wenig Interesse an dem Ludwigsburger Material, wie die Autoren des Kriegsopferrenten-Berichts für das Bundessozialministerium erfahren haben.
Bei der Zentralstelle in Ludwigsburg gibt man sich gelassen. »Solange wir weiter ermitteln«, sagt der stellvertretende Leiter Thomas Will, »passiert nichts mit dem Aktenbestand.« Aber was dann? Sicher ist, dass die rund 1,7 Millionen Karteikarten mit den Ermittlungserkenntnissen archiviert werden. Und, fügt Staats- anwalt Will hinzu: »In unseren Karteikarten ist alles erfasst.« Auch die Versorgungsamtsanfragen und die Antworten. Doch Will plädiert ebenfalls dafür, »die Akten aufzubewahren, denn es dürfte der letzte Gesamtaktenbestand über die Anfragen der Versorgungsämter und unserer Auskünfte sein«.
Die Brisanz des Themas, das die zwei Historiker in der Schlussbemerkung ihres Berichts aufgeworfen haben, hat man inzwischen auch im Bundesarchiv zur Kenntnis genommen. Hinter vorgehaltener Hand spricht man von einem »politisch heißen Eisen«.
landesarchive Beim Arbeitsministerium geht man davon aus, dass »Materialien, aus denen hervorgeht, ob für eine Person Indizien für eine Verwicklung in NS-Verbrechen vorliegen oder nicht«, erhalten bleiben, wie eine Sprecherin mitteilt. »Als nicht archivwürdig werden lediglich die in aller Regel immer gleichlautenden Anfragen der Versorgungsämter der Länder sowie ›die in vermutlich über 90 Prozent der Fälle negative Antwort der Zentralen Stelle‹ angesehen.«
Der Leiter der Außenstelle Ludwigsburg des Bundesarchivs, Peter Gohle, sieht jedoch sein Amt nicht in der Verpflichtung, Archivalien zu bewahren. Das sei »primär Aufgabe der zuständigen Landesarchive«, teilt er mit. Wie auch das Ministerium hält er negative Bescheide an die Versorgungsämter für »nicht archivwürdig«. Sprich: für die deutsche Geschichte unwichtig.
Aber, so finden nicht nur Historiker, sie sind interessant für die Aufarbeitung des manchmal sehr wohlwollenden Umgangs der Ämter mit NS-Tätern, die eine Kriegsopferrente bezogen.