Ein gutes Vierteljahr nach dem Start seines neuen digitalen Pilotprojektes zieht der Internationale Suchdienst in Bad Arolsen eine erste positive Bilanz. Der Dienst – englisch: International Tracing Service (ITS) – ist eine von elf Staaten gemeinsam betriebene, von Deutschland finanzierte und mit dem Bundesarchiv kooperierende Einrichtung.
In dem im Oktober freigeschalteten, weltweit kostenfrei zugänglichen Online-Archiv des ITS sind 60.000 Dokumente aus dem Archiv des Suchdienstes einsehbar. Es handelt sich um Sammelbestände über Todesmärsche, den Kindersuchdienst sowie rund 3300 persönliche Gegenstände von Inhaftierten aus Konzentrationslagern.
Seit Oktober gab es bereits mehr als 50.000 Zugriffe durch rund 40.000 Nutzer, von denen die meisten aus Deutschland (38 Prozent), den Niederlanden (31 Prozent), Israel (7,3 Prozent) und den USA (7,2 Prozent) kommen. Das berichtete die ITS-Pressesprecherin Friederike Scharlau auf Anfrage der Jüdischen Allgemeinen. »Bisher haben uns hilfreiche weitere Informationen insbesondere zu Effekteneigentümern erreicht, die Rückmeldungen sind konstruktiv und in der Regel positiv – es gab bislang keine generelle negative Kritik«, so Scharlau.
Todesmarsch Besondere Wellen hat die Veröffentlichung der Effektenfotos geschlagen. Journalisten und interessierte Privatpersonen recherchierten und lieferten entscheidende Hinweise, sodass der ITS einige der im Archiv aufbewahrten persönlichen Gegenstände an die Nachfahren niederländischer NS-Opfer aushändigen konnte. Großes öffentliches Interesse besteht auch am Bestand zu den Todesmärschen.
Für die seit Jahresbeginn amtierende neue Direktorin des ITS, Floriane Hohenberg, ist die Veröffentlichung der Bestände ein bedeutender Schritt: »Ich sehe es als zentrale Aufgabe des ITS, das Online-Archiv kontinuierlich auszubauen.« Es sei wichtig, dass die Dokumente noch stärker genutzt werden könnten, besonders »für die Angehörigen, aber auch für historisch-politische Bildungsarbeit und Forschung«.
Ohnehin verzeichnet der ITS mit seinem riesigen Gesamtarchiv immer mehr Anfragen. Sie stiegen von mehr als 12.100 im Jahr 2014 auf rund 15.500 im vergangenen Jahr an, wie die Institution Anfang 2016 mitteilte. Dafür gebe es verschiedene Gründe, unter anderem Renten für bisher ausgeklammerte Opfergruppen. Durch eine Änderung in der polnischen Gesetzgebung erhalten nun beispielsweise auch jene jüdische NS-Verfolgte Renten, die zur Zeit der Verfolgung in Polen waren, seitdem aber außerhalb des Landes leben. Auch die Reform der Ghettorenten, die nach einer Schätzung der Bundesregierung für circa 40.000 noch lebende Ghetto-Arbeiter bedeutsam ist, sorgte für deutlich vermehrte Anfragen.
Dokumente Hohenberg erklärte, dass die Auskünfte über die Schicksale dieser hochbetagten Menschen beim ITS auch 2016 mit oberster Priorität behandelt würden, damit sie umgehend ihre Anträge stellen könnten. Dieses Jahr sollen drei weitere kleinere Bestände online gehen, darunter ein ergänzender Teilbestand aus den Todesmärschen sowie die Kartei der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland.
Insgesamt handelt es sich um fast 200.000 Dokumente. Veröffentlichungen für die Folgejahre sind in Vorbereitung. All diese Informationen und Dokumente stehen auch vor Ort in Bad Arolsen und bei den Partnerinstitutionen, dem Washingtoner Holocaust-Museum und in der Jerusalemer Gedenkstätte Yad Vashem, zur Verfügung.
Es gibt wohl kaum einen anderen Aspekt der Arbeit des ITS, der so deutlich den radikalen Kurswechsel der Institution verdeutlicht. Noch 2011 wurde der Dienst von Nutzern heftig für seine zum Teil restriktive Zugangspolitik zu den Archiven kritisiert (vgl. Jüdische Allgemeine vom 1. September 2011). Nach internationalen Verhandlungen zog sich der frühere Träger, das Internationale Komitee des Roten Kreuzes, Ende 2012 aus der Einrichtung zurück.
Erstmals übernahm mit der Amerikanerin Rebecca Boehling eine Zeithistorikerin die Leitung. Sie strebte beim ITS Transparenz und Offenheit an, wie sie auch in dem neuen Online-Archiv zum Ausdruck kommt. »Der ITS wird heute international als die zentrale Stelle für die Auskunftserteilung zu allen NS-Verfolgten und den Überlebenden gesehen und zugleich als neuer Partner, wenn es um das Archiv und das Zentrum für Forschungs- und Bildungsfragen zur NS-Verfolgung, den Holocaust und seine Nachkriegsfolgen geht«, erklärte Boehling anlässlich ihrer Verabschiedung. Ihre Nachfolge trat nun Anfang Januar die Französin Floriane Hohenberg an.
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