Berlin

Netzwerk gegen Antisemitismus

Antisemitische Parolen und Angriffe bei den Demonstrationen zum Gaza-Krieg im vergangenen Jahr, ein Plus von 25 Prozent bei den Übergriffen auf Juden und immer wieder Studien, die belegen, wie weit Antisemitismus in der sogenannten Mitte der Gesellschaft angekommen ist: Fakten wie diese machten bei der ersten Strategiekonferenz des »Netzwerks zur Erforschung und Bekämpfung des Antisemitismus« (NEBA) am 2. Juli in Berlin deutlich, warum sich mehr und mehr Juden in Deutschland und Europa verunsichert fühlen.

Mehr als 200 Interessierte aus Politik, Wissenschaft, NGOs und Pädagogik nahmen an der Konferenz des Netzwerks teil, das vom Moses Mendelssohn Zentrum (MMZ), dem American Jewish Committee (AJC) und der Amadeu Antonio Stiftung initiiert wurde.

Mechanismus »Antisemitismus war schon totgesagt, meldet sich nun aber in besorgniserregender Weise zurück«, bilanzierte MMZ-Gründungsdirektor Julius H. Schoeps. Gerade in Deutschland werde Judenhass bagatellisiert und unterschätzt, gleichzeitig seien die Mechanismen zur Bekämpfung des Problems offensichtlich hoffnungslos unterentwickelt.

Ähnlich äußerte sich Anetta Kahane, Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung. Dabei gehe es nicht um die Angst der Juden vor dem Antisemitismus, dieser reiche weit darüber hinaus: »Antisemitismus bedroht die Moderne und die Juden – beides betrifft uns alle.« Diese These wurde auch von der renommierten Antisemitismus- und Holocaustforscherin Deborah Lipstadt aus den USA getragen.

Sie warnte in ihrer Eröffnungsrede: »Der Zustand der Juden ist ein Indikator dafür, wie es um die offene Gesellschaft bestellt ist. Wenn Juden sich unsicher fühlen, steht es schlecht für die Demokratie.« AJC-Direktorin Deidre Berger ergänzte, dass der Kampf gegen Antisemitismus nur gemeinsam gelingen könne – entsprechend sei auch die Gründung von NEBA zu verstehen.

Die Gründungskonferenz des Netzwerks fand in der Topographie des Terrors statt. Deren Direktor Andreas Nachama betonte in seiner Begrüßung, das Problem sei nicht der Antisemitismus der anderen, sondern der der Gesellschaft. »Antisemitismus ist ein Teil von uns«, sagte Nachama. »Die Gesellschaft muss in den Spiegel schauen und die hässliche Fratze des Antisemitismus erkennen.«

Kriterien Ebenjenes Erkennen stand im Mittelpunkt des ersten Konferenz-Panels. Hier diskutierten unter anderem der Bundestagsabgeordnete Volker Beck (Bündnis 90/Die Grünen) und Jörg Bentmann vom Bundesinnenministerium über die Statistik zur politisch motivierten Kriminalität, in die antisemitische Delikte eingehen. Die Kriterien und Kategorien dieser Statistik sind allerdings Gegenstand regelmäßiger Kritik: Nicht wenige Experten und NGO-Vertreter beklagen, dass nicht alle antisemitischen Straftaten erfasst werden, da sie nicht als judenfeindlich eingeordnet würden.

Das zweite Panel unter der Überschrift »Erforschen« behandelte den Stand der aktuellen Antisemitismus-Forschung. Hier stellte Barbara Schäuble von der Alice Salomon Hochschule eine Stagnation fest. Insbesondere fehle es in der Forschung an Stimmen der Betroffenen, so die Soziologin. Gleichzeitig gebe es eine starke Historisierung der Antisemitismus-Forschung in Deutschland, die oft genug mit NS- oder Holocaust-Forschung gleichgesetzt worden sei und so moderne Ausprägungen von Judenhass aus dem Blick verliere.

Im dritten Panel ging es schließlich unter dem Titel »Bekämpfen« um konkrete Maßnahmen gegen Antisemitismus. Hier identifizierte Anetta Kahane drei Ebenen, auf denen der Kampf gegen Judenfeindschaft stattfinden müsse: Politik, Gesellschaft und Bildung.

Web 2.0 So müsse Antisemitismus kontinuierlich von der Politik und in der Öffentlichkeit geächtet werden. In der Bildung dürfe er nicht nur im Zusammenhang mit dem Holocaust behandelt werden: Lehrer und Jugendleiter müssten hier besser und früher geschult werden, um Antisemitismus zu erkennen und anzugehen. Zudem müssten auch die Sozialen Netzwerke in den Fokus rücken, um die zahlreichen Formen von Judenhass im Web 2.0 verstehen und bekämpfen zu können. Zudem wurde auf der NEBA-Konferenz gefordert, Polizei- und Justizbeamte besser für das Thema Antisemitismus zu schulen und zu sensibilisieren.

»Die Konferenz hat mir die Komplexität und Gefahr des Themas noch einmal deutlich gemacht«, fasste Deidre Berger zusammen. »Antisemitismus muss ganz vorne auf die Agenda.«

Das Netzwerk wird nun aus den Ergebnissen der Tagung einen umfassenden Forderungskatalog entwickeln, der Bundestagsabgeordneten und Regierungsvertretern vorgestellt werden soll.

www.neba.berlin

Arlington (Virginia)

USA genehmigen Milliardenauftrag: Neue F-15-Kampfjets für Israel

Der Vertrag umfasst die Entwicklung, Integration, Erprobung, Produktion und Lieferung von zunächst 25 neuen Maschinen

 30.12.2025

Terror

Warum?

Die nichtjüdische Deutsche Carolin Bohl wurde am 7. Oktober 2023 von der Hamas brutal ermordet. Hier nimmt ihre Mutter Abschied von der geliebten Tochter

von Sonja Bohl-Dencker  30.12.2025

Einspruch

Solidarität mit Somaliland

Sabine Brandes findet Israels Anerkennung der Demokratie am Horn von Afrika nicht nur verblüffend, sondern erfrischend

von Sabine Brandes  30.12.2025

Meinung

Für mich ist es Nowy God – und warum ich ihn feiere

Das Neujahrsfest hat mit dem Judentum eigentlich nichts zu tun. Trotzdem habe ich warme Erinnerungen an diesen Feiertag

von Jan Feldmann  30.12.2025

London

Vorwurf gegen Facebook: Beiträge feiern Mord an Juden und bleiben online

»Die Beiträge, die den Anschlag von Bondi feiern, sind schlicht widerwärtig«, sagt Dave Rich von der jüdischen Organisation CST in England

 30.12.2025

Berlin

Tagung »Digitale Horizonte«: Wie sich Erinnerungskultur im digitalen Zeitalter wandelt

Wie verändert die Digitalisierung das kollektive Erinnern? Welche Chancen eröffnen neue Technologien – und wo liegen ihre Grenzen? Mit diesen Fragen beschäftigt sich die Konferenz

 30.12.2025

Deutschland

Shahak Shapira »superverbittert« über Antisemitismus

Shahak Shapira spricht offen über seinen Frust angesichts von Antisemitismus in Deutschland – und wie er mit politischer Comedy darauf reagiert

 29.12.2025

Analyse

Warum die Anerkennung Somalilands so viel Aufsehen erregt

Das kleine Land am Horn von Afrika hat plötzlich eine große geopolitische Bedeutung. Dafür gibt es gute Gründe

von Ralf Balke  29.12.2025

Kommentar

Wer Glaubenssymbole angreift, will Gläubige angreifen

Egal ob abgerissene Mesusot, beschmierte Moscheen oder verwüstete Kirchen: Politik und Religion werden zurzeit wieder zu einem hochexplosiven Gemisch. Dabei sollte man beides streng trennen

 29.12.2025