Nahost

Netanjahus Dilemma

»Israel will Frieden«: Benjamin Netanjahu mit der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini am 20. Mai in Jerusalem Foto: Flash 90

Die einen bezeichnen es als Schlingerkurs, andere als Kehrtwende. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu scheint ein Meister darin zu sein, seine Meinung zu ändern – auf jeden Fall, wenn es um die Frage eines palästinensischen Staates geht.

Vor der Knesset-Wahl hatte Netanjahu einem Palästinenserstaat eine Absage erteilt, um sich dann direkt nach der Abstimmung wieder zu einer Zweistaatenlösung zu bekennen. Hinzu kommen unterschiedliche Aussagen zu Bauvorhaben in Ost-Jerusalem und der Suche nach Allianzen mit moderaten arabischen Staaten.

Er benannte den stellvertretenden Premier Silvan Shalom, einen erklärten Gegner der Zweistaatenlösung, zum Beauftragten für Friedensgespräche. Die neue stellvertretende Außenministerin Tzipi Hotovely bekräftigte unterdessen den Anspruch Israels auf das Land in biblischen Grenzen. Und Verteidigungsminister Moshe Yaalon betonte in dieser Woche, er halte es für unwahrscheinlich, dass es noch zu seinen Lebzeiten zu einer friedlichen Lösung kommt.

Grenzverlauf Zur Verwirrung tragen jüngste Bemerkungen Netanjahus bei, der nun erstmals die Bereitschaft betont hat, über den Grenzverlauf zwischen Israel und einem zukünftigen palästinensischen Staat zu diskutieren. Auch die Frage israelischer Siedlungsblöcke ist plötzlich Thema: Es sei klar, dass es Gebiete gebe, die im Rahmen einer künftigen Vereinbarung unter israelischer Kontrolle bleiben, so wie es ebenfalls klar sei, dass andere unter palästinensischer Kontrolle bleiben werden. Das soll Netanjahu kürzlich bei einem Treffen mit der Außenbeauftragten der Europäischen Union, Federica Mogherini, gesagt haben.

Die Irritation der Beobachter ist verständlich. Doch wenn man etwas genauer hinschaut, ist die Haltung des Premiers konstant geblieben: Eine Zweistaatenlösung erscheint als Ideal, aber eines, das derzeit nicht realisiert werden kann. Und im Prinzip weiß er, dass eine Einstaatenlösung zu einem binationalen Staat führen würde, dem Ende des zionistischen Traums. Diese Erkenntnis, verbunden mit dem ständig wachsenden internationalen Druck, bringt ihn dazu, die Zweistaatenlösung zu unterstützen.

Erstmals äußerte Netanjahu 2009 in seiner historischen Rede an der Bar-Ilan-Universität die Bereitschaft, einen entmilitarisierten palästinensischen Staat zu akzeptieren, sofern er Israel als Nationalstaat des jüdischen Volkes anerkennt. Zugleich aber ist er davon überzeugt, dass unter den derzeitigen geopolitischen Realitäten Palästina zu einem Tummelplatz für Terroristen werden würde, was Israels Überleben gefährden könnte.

Darüber hinaus interpretiert der Premier die derzeitige Weigerung der Palästinenser, Israel als jüdischen Staat anzuerkennen, als Hinweis, dass die aktuelle palästinensische Führung nicht bereit sein wird, alle Ansprüche gegen Israel ein für allemal fallenzulassen und eine friedliche Koexistenz anzustreben. Schließlich ist da noch Netanjahus politische Basis. Die hat sein rhetorisches Bekenntnis zur Zweistaatenlösung geschluckt – doch fürchtet er, dass sie rebellieren könnte, sobald er tatsächlich konkrete Schritte zur Teilung von Eretz Israel unternehmen würde.

Palästinenser Netanjahus Position in Bezug auf einen palästinensischen Staat steckt also in der Zwickmühle zwischen der harten Realität und dem, was er für ein verträumtes Ideal hält. Seine jüngsten Erklärungen sollten daher nicht als Hinweise auf eine neue Flexibilität betrachtet werden. Alles, was Netanjahu der EU-Außenbeauftragten gesagt hat, ist, dass er weiter dem Friedensprozess sowie der Idee einer Zweistaatenlösung verpflichtet ist und sich die Wiederaufnahme von Friedensgesprächen wünscht. Er präsentierte keine neuen Landkarten und erklärte auch nicht, wie viel vom Westjordanland er den Palästinensern überlassen will, noch hat er konkrete Vorschläge oder politische Initiativen unterbreitet.

Für die Europäer, wie auch für die US-Regierung, ist es nicht mehr länger die Frage, ob die israelische Regierung eine Zweistaatenlösung ablehnt oder befürwortet. Für sie ist ein palästinensischer Staat etwa in den Grenzen von 1967 das Nonplusultra. Sie sind sich nur nicht im Klaren darüber, was Netanjahu genau meint, wenn er von zwei Staaten für zwei Völker spricht.

Und Netanjahu glaubt, er kommt damit durch, weil er auf die palästinensische Starrköpfigkeit setzt. Wenn er seine Hand ausstreckt mit dem Angebot, die Grenzen der Siedlungsblöcke zu diskutieren, und die Palästinenser schlagen dies aus, dann hätte die internationale Gemeinschaft keine andere Wahl, als wieder den Druck auf Ramallah zu erhöhen. So etwa denkt er.

Status Und es dauerte auch nach der Veröffentlichung des Gesprächs nur wenige Stunden, bis die Palästinensische Autonomiebehörde Netanjahus angeblichen Vorschlag zurückwies. »Nichts in Bezug auf Fragen eines endgültigen Status kann verändert oder aufgeschoben werden«, sagte deren Sprecher Nabil Abu Rudeina.

Die Basis für die Verhandlungen müsse die Anerkennung der Grenzen von 1967 sein, mit Jerusalem als Hauptstadt eines unabhängigen palästinensischen Staates, fuhr er fort. Dies umschreibt auch mehr oder weniger die Vorstellung der internationalen Gemeinschaft für eine Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts. Insofern ist es zweifelhaft, ob Netanjahus Strategie erfolgreich sein wird.

Doch auch, wenn die EU und, wichtiger noch, US-Präsident Barack Obama das anders sehen: Netanjahu glaubt, die Realitäten im Nahen Osten besser einschätzen zu können, und beharrt daher darauf, dass die Zweistaatenlösung ein Ideal ist, das derzeit aber nicht umgesetzt werden kann.

Der Autor ist Redakteur der Online-Zeitung »The Times of Israel«.

Interview

»Niemand soll jetzt die Hände in Unschuld waschen«

Michel Friedman über seinen Austritt aus der CDU, die Debatte um Friedrich Merz und die Bedeutung von Glaubwürdigkeit in der Politik

von Michael Thaidigsmann  30.01.2025

Frankfurt am Main

»Antisemitische Reaktion« im Studio des Hessischen Rundfunks

Die deutsch-israelische Informatikexpertin Haya Schulmann erhebt schwere Vorwürfe gegen eine Moderatorin und die Redaktion des Hessischen Rundfunks

von Imanuel Marcus  30.01.2025 Aktualisiert

Frankfurt

»Unentschuldbares Machtspiel«: Michel Friedman tritt aus CDU aus

Friedrich Merz habe mit der Abstimmung im Bundestag die »Büchse der Pandora« geöffnet, so der Publizist

 30.01.2025

Geiselabkommen

Sorge um das Schicksal der verbliebenen deutschen Geiseln

Tut die Bundesregierung genug für ihre verschleppten Staatsbürger in Gaza? Kritiker haben daran Zweifel

von Detlef David Kauschke  30.01.2025

Studie

Wann war die AfD bei Abstimmungen wichtig?

Die AfD hat im Bundestag für eine Mehrheit des Unionsantrags für schärfere Migrationspolitik gesorgt. Es ist nicht das erste Mal, dass sie Mehrheiten beschafft

 30.01.2025

Vandalismus

CDU-Geschäftsstellen in Dortmund und Lünen beschmiert

Zuvor wurde eine Schützenhalle im Sauerland besprüht. Die Taten stehen mutmaßlich im Zusammenhang mit einem Unionsantrag, der mithilfe von AfD-Stimmen im Bundestag verabschiedet wurde

 30.01.2025

Debatte

Holocaust-Überlebende Eva Umlauf: »Tun Sie es nicht, Herr Merz«

Eva Umlauf hat als kleines Mädchen das NS-Vernichtungslager Auschwitz überlebt. Sie richtet einen direkten Appell an die Union, nicht mit der AfD zu stimmen

 30.01.2025

Berlin

NS-»Euthanasie«-Opfer erhalten Anerkennung durch den Bundestag

Die Nationalsozialisten ließen massenhaft Patienten und Insassen von Heil- und Pflegeanstalten sowie von »rassisch« und sozial unerwünschten Menschen ermorden

 30.01.2025

Freiburg

Jüdische Gemeinde sieht »untragbare Lage« an Albert-Ludwigs-Universität

In einem offenen Brief an Rektorin Kerstin Krieglstein heißt es, jüdische Studenten würden ausgegrenzt. Das ist offenbar nur die Spitze des Eisbergs

von Imanuel Marcus  30.01.2025