Der Bundesnachrichtendienst ist nicht dazu verpflichtet, einem Journalisten mitzuteilen, wie viele seiner Mitarbeiter durch eine NS-Vergangenheit belastet sind oder waren. Das hat das Bundesverwaltungsgericht am Mittwoch in Leipzig entschieden. Überhaupt gelte für Bundesbehörden kein gesondertes Auskunftsrecht der Presse, wie es in allen Landespressegesetzen geregelt ist. Bundesbehörden müssen nur eine Art Minimalstandard an Auskunftspflicht erfüllen.
Geklagt hatte der »Bild«-Chefreporter Hans-Wilhelm Saure, der vom Geheimdienst Auskunft über NS-belastete Mitarbeiter haben wollte. Die Behörde hatte eine Auskunft abgelehnt – zunächst mit dem Hinweis, der Aufwand wäre zu groß. »Erst im Laufe des Verfahrens hat der Vertreter des Bundes geäußert, dass der BND als Bundesbehörde nicht zur Auskunft nach dem Landespressegesetz verpflichtet sei«, sagte Saure der Jüdischen Allgemeinen.
Struktur Darin liegt die besondere Bedeutung des Prozesses: Die Auskunftspflicht von Behörden ist in Deutschland in den Landespressegesetzen geregelt; ein Bundespressegesetz gibt es aufgrund der förderalen Struktur nicht.
Saures Anwalt Christoph Partsch sagte dieser Zeitung: »Seit den 60er-Jahren wird die Auskunftspflicht, die in den Landespressegesetzen festgelegt ist, auch auf Bundesbehörden angewandt. Das hat der BND auch so gesehen. Nun hat das BMI in seiner Stellungnahme eine neue Ansicht vertreten: Danach sollen die landespresserechtlichen Auskunftsansprüche nicht mehr auf Bundesbehörden anwendbar sein. Das ist neu und steht im Widerspruch zur bisherigen Rechtsprechung.«
Bundespressegesetz In der Tat stellte das Fehlen eines Bundespressegesetzes bislang kein Problem dar. Joachim Bohm, der sich als Vertreter des Bundesinteresses am Bundesverwaltungsgericht in die Klage eingeklinkt hatte, sagt jedoch, er wundere sich, dass das bislang noch niemandem aufgefallen sei.
»Ein Landespressegesetz kann Bundesbehörden nicht zu etwas zwingen.« Um eine Beschneidung des Presserechts gehe es nicht, beteuerte Bohm gegenüber der Jüdischen Allgemeinen. Er selbst spreche auch nicht für das Bundesinnenministerium und schon gar nicht für den Bundesnachrichtendienst. »Mich interessieren die verfassungsrechtlichen Fragen, nicht die Inhalte.«
Verweigerung Um Inhalte ging es aber allen anderen Prozessbeteiligten. »Ich glaube nicht, dass sich der BND einen Gefallen mit der Verweigerung der Auskunft tut«, sagt Saure, »so entstehen doch nur Spekulationen.« Er hatte ganz konkret wissen wollen, wie viele Mitarbeiter des BND in den Jahren zwischen 1950 und 1980 frühere Mitglieder der NSDAP, Angehörige der SS, der Gestapo oder der Abteilung »Fremde Heere Ost« gewesen waren. Diese Auskunft war ihm verweigert worden.
Dem Vernehmen nach ist das Archiv des BND noch nicht vollständig erschlossen – das hätte dem Dienst zu viel Arbeit gemacht. Zudem wies der Geheimdienst den »Bild«-Chefreporter darauf hin, dass es doch eine Historikerkommission gebe, die sich der NS-Vergangenheit der Mitarbeiter von BND und dessen Vorläuferorganisation, dem Amt Gehlen, widme.
Auf die Ergebnisse der – ihrerseits umstrittenen – Historikerkommission will Saure nicht warten. Seit Jahren recherchiert er über die NS-Belastung deutscher Behörden. Die Herausgabe der Akten zum Organisator der »Endlösung«, Adolf Eichmann, hatte er gerichtlich erzwungen: Er konnte vor zwei Jahren durch den zufälligen Fund einer Karteikarte nachweisen, dass der BND bereits 1952 den argentinischen Aufenthaltsort und dort benutzten Namen des Massenmörders kannte – ohne je daran zu denken, aktiv zu werden. Auch den Fall des NS-Verbrechers Alois Brunner recherchierte Saure, bis die Behörden die Akten vernichteten. »Da stellt sich die Frage natürlich, warum geschieht das?«, fragt der Journalist.
Kompetenz Kaum ein Beobachter hält es für eine zufällig bemerkte Diskrepanz in der Verteilung der Kompetenzen von Bund und Ländern, die zur jetzigen Verweigerungshaltung des BND führte. Der SPD-Bundestagsabgeordnete
Burkhard Lischka erklärte im Deutschlandfunk, er halte das Verhalten des Bundesinnenministeriums für skandalös – »sowohl in dem konkreten Fall, wo es um ein absolut berechtigtes Anliegen geht, wo ich auch dieses Mauern nicht verstehe, und natürlich auch, was offensichtlich seine Haltung zur Pressefreiheit generell angeht«.
Ulrich Janßen, Vorsitzender der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di erklärte, ihm leuchte nicht ein, »dass der in den Landespressegesetzen verankerte Auskunftsanspruch der Presse nur noch gegenüber kommunalen und Landesbehörden gelten soll, aber nicht mehr für Bundesbehörden wie zum Beispiel Ministerien oder Nachrichtendienste«. Was ausgerechnet bei der verweigerten Auskunft zur NS-Belastung von BND-Mitarbeitern geschehe, sei ein »Eingriff in die Pressefreiheit«. Auch Michael Konken, Vorsitzender des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV), warnte, dass es künftig »vom Gutdünken einer Bundesbehörde abhängt, ob und wann welche Journalisten von Bundesbehörden Informationen bekommen«.
Peter Schaar, der Datenschutzbeauftragte des Bundes, hatte vor der Leipziger Verhandlung im »Tagesspiegel« erklärt, das jetzt für Journalisten bemühte Informationsfreiheitsgesetz stelle »einfach keinen Ersatz für Presseauskunftsrechte« dar, schon weil es nicht für Nachrichtendienste gelte.