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Nationales Facebook?

Facebook und die Politik: Mark Zuckerberg mit Bundesjustizministerin Katarina Barley Foto: imago images / photothek

Gerade einmal 29 Minuten hatte es gedauert, bis der erste Facebook-User die Live-Übertragung der Morde des Täters von Christchurch in Neuseeland meldete. Mit der bald erfolgten Löschung war das Video allerdings noch lange nicht aus der virtuellen Welt entfernt. Rasch zeigte sich, dass ausgerechnet die Regularien, die dem Kampf gegen Fake News dienen sollten, dafür sorgten, dass die tausendfach geteilten Bilder sterbender Menschen nicht ohne Weiteres entfernt werden konnten.

Von Facebook als seriös eingestufte Medien hatten nämlich – meist zensierte – Versionen des Videos verbreitet, und deswegen war es vom Algorithmus als nicht löschpflichtig eingestuft worden. Dass Facebook, Twitter & Co. es nicht schaffen, fragwürdige Inhalte zu erkennen und zu entfernen, ist allerdings schon viel länger klar.

REGULARIEN Nun scheint dies auch Facebook klar zu werden. In einem Artikel für die »Washington Post« beschrieb Firmengründer Mark Zuckerberg jüngst recht detailliert, wie schwierig, eigentlich unmöglich, das ist. Sein Schluss: »Wenn wir noch einmal ganz von vorne anfingen, überließen wir es nicht den Unternehmen allein, diese Entscheidungen zu treffen.« Zuckerberg fordert nun die Politik auf, Regularien festzusetzen, nach denen sein Konzern arbeiten soll.

»Wenn wir von vorne anfingen, dürften Firmen nicht mehr entscheiden«, sagt Mark Zuckerberg.

Handlungsbedarf besteht tatsächlich: Gerade judenfeindliche Hetze wurde selten entfernt, entsprechende Meldungen wurden meistens mit dem Vermerk beantwortet, der Inhalt entspreche den Gemeinschaftsstandards. Einspruch war zwecklos.

Spätestens, nachdem anlässlich der US-Präsidentschaftswahl und der britischen Brexit-Entscheidung erkannt wurde, wie einfach mit der organisierten Produktion von Fake News und Verschwörungstheorien Politik beeinflusst werden kann, war vor allem Facebook in die Kritik geraten.

Als Zuckerberg & Co. ihre sozialen Plattformen gründeten, galt das Internet noch als unregulierter Freiraum, in dem nationale Gesetze nicht gelten würden. Zensur sollte möglichst nicht stattfinden. User, so erklärten Zuckerberg und Jack Dorsey, einer der Gründer von Twitter, immer wieder, sollten andere Meinungen tolerieren – oder Leute in Diskussionen davon überzeugen, dass sie falsch liegen.

Um die Äußerungen zu kontrollieren, müssten Zehntausende Menschen praktisch jedes Posting vor der Veröffentlichung überprüfen.

USER Die etwas blauäugige Grundannahme lautete: Menschen würden nur deswegen zu Antisemiten, Rassisten, Frauenhassern, weil sie schlecht informiert sind. In den Anfangstagen funktionierte das sogar – als mehrheitlich junge, technikaffine und weitgehend unpolitische User die Szene dominierten. Mittlerweile jedoch wurde aus dem überschaubaren Angebot eine multinationale Veranstaltung mit mehr als zwei Milliarden Nutzern, die nicht alle nur lustige Katzenbildchen und flapsige Bemerkungen mit Freunden austauschen wollten.

Um die Äußerungen einer derartigen Menschenmasse erfolgreich zu kontrollieren, müssten Zehntausende Menschen eingestellt werden, die praktisch jedes Posting vor der Veröffentlichung überprüfen. Das wäre allerdings weder logistisch noch finanziell zu stemmen.

Das dürfte der Hintergrund sein, warum Zuckerberg als Kopf des Konzerns nun ausgerechnet die Nationalstaaten auffordert, sie sollten für ihn Regularien festsetzen. Es gibt ja bei Facebook und anderen Plattformen schon längst Kriterien, was bei ihnen nicht erlaubt ist. Dazu gehören Belästigung, Aufrufe zu oder Androhung von Gewalt, Terrorismus, Hate Speech, Suizidankündigung, Spam und Nacktheit.

Die Leugnung der Schoa ist in Deutschland strafbar, in anderen Ländern erlaubt.

künstliche intelligenz Derzeit setzen Social-Media-Betreiber nicht nur menschliche Mitarbeiter ein, sondern setzen verstärkt auf AI (artificial intelligence, künstliche Intelligenz). Lernfähige Algorithmen haben allerdings den Nachteil, dass sie innerhalb der vorgegebenen Rahmen selbstständig lernen und ihre »Gedankengänge« von ihren Entwicklern ab einem bestimmten Punkt nicht mehr kontrolliert werden können.

Das Problem ist nur: Während jedoch ein nackter Busen selbst von einer ziemlich dummen AI ohne Weiteres erkannt werden kann, sind hasserfüllte Statements oder Bilder nicht leicht als Hate Speech einzuordnen. Gerade Antisemiten aber arbeiten häufig mit Codes, die ihresgleichen sofort versteht, die aber einem Mitarbeiter, der täglich mit Hunderten abscheulicher Fotos und Statements konfrontiert wird, nicht unbedingt geläufig sein werden. Und der AI wohl auch kaum.

Darüber hinaus leben menschliche Unterhaltungen ja bekanntlich von Zweideutigkeiten, ironischen Anspielungen und Witzen. Worte werden also nicht immer im für eine Maschine ohne Weiteres erkennbaren Wortsinn gebraucht.

Zuckerbergs Vorstoß zeigt, dass die Entwicklung der Künstlichen Intelligenz nicht so fortschreitet, wie er das gerne hätte.

anhörung Vor ziemlich genau einem Jahr hatte Mark Zuckerberg bei einer Anhörung vor dem US-Senat schon einmal darüber gesprochen. Vier bis fünf Jahre sei man noch davon entfernt, dass die AI zwischen freundschaftlichen Neckereien und bösartigen, herabsetzenden Kommentaren unterscheiden könne, sagte er damals.

Zuckerbergs aktueller Vorstoß, die Politik einzubinden, zeigt, dass die Entwicklung der AI nicht so fortschreitet, wie er das gerne hätte. Und »die Politik« wird das Problem des Konzerns auch nicht lösen. Was etwa unter Meinungsfreiheit fällt und was Hetze ausmacht, ist von Nationalstaat zu Nationalstaat unterschiedlich definiert.

Die Leugnung der Schoa beispielsweise ist in Deutschland strafbar, in anderen Ländern ist sie als Meinungsfreiheit erlaubt. Ähnlich verhält es sich mit der Verletzung religiöser Gefühle: In westlichen Ländern gelten andere Standards als etwa in muslimisch geprägten Gesellschaften.

Auch Mark Zuckerberg dürfte wissen: Die Vision der meisten Gründer sozialer Medien, Plattformen zu schaffen, die Menschen verbinden und Internationalität fördern, würde durch die Einbindung der Politik in Regulierungsprozesse ruiniert werden. Statt Inhalten, die alle sehen und teilen können, würde es nationale Sektionen geben – bereits heute werden gemeldete, gegen deutsche Gesetze verstoßende Postings ausländischer User nicht unbedingt gelöscht, sondern in aller Regel lediglich als für Deutsche nicht sichtbar geschaltet.

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