Vor mehr als 100 Jahren beobachtete der große jüdische Soziologe Georg Simmel, wie sich die Menschen unterhielten. Es ging Simmel um die Geselligkeit, die für ihn nicht weniger wichtig war als der Inhalt des Gesagten. Wenn Menschen miteinander sprechen, geht es nicht nur um das, worüber jeweils gesprochen wird, sondern eben um das Gesellige. Der Inhalt oder Zweck des Gesprächs spielt kaum eine Rolle – das Gespräch selbst ist der Zweck.
Im Ernst des Lebens reden die Menschen um des Inhaltes willen, bei der Geselligkeit geht es aber um Tausch: um die gegenseitige Anerkennung und um die gegenseitige Entdeckung. Es geht um ein Beziehungsspiel, welches Individuen spielen, die sich im wahrsten Sinne des Wortes »unterhalten«. Nur im Gespräch mit anderen finden wir zu uns selbst.
Kompromisse Simmel hat sicher nicht die in dieser Woche wiederaufgenommenen Gespräche zwischen Israel und der Palästinenserbehörde vorausgeahnt. Ihm ging es um das Gesellschaftliche und nicht das Politische. Und hier genau liegt das Problem. Man schaut auf die Gespräche und Verhandlungen und denkt in den Kategorien von Individuen, die einander vertrauen oder misstrauen, die sich einander annähern oder nicht, und spricht zu oft über die Inhalte. Zu diesen gehört auch ein Friedensschluss durch Kompromisse. Als ob man alle Probleme lösen könnte, wenn man einander nur zuhört. Eigentlich ganz einfach, oder?
Die Lösung des Konflikts im Nahen Osten liegt eigentlich schon seit 20 Jahren auf dem Tisch, hat inzwischen auch schon viele Namen, aber sie ist immer die gleiche: Zwei Staaten, die Grenzen mehr oder weniger identisch mit der Grünen Linie von 1967 als ungefährem Maßstab, der Rückzug aus dem Westjordanland/aus den besetzten Gebieten/aus Judäa und Samaria – die Bezeichnung hängt von der jeweiligen politischen oder religiösen Einstellung ab – und natürlich die Aufgabe vieler jüdischer Siedlungen in diesen Gebieten. Im Gegenzug wird der Kriegszustand mit Israel beendet, die Ausübung jüdischer Souveränität in den verhandelten Grenzen anerkannt, das palästinensische Flüchtlingsproblem in einer befriedigenden Form gelöst und das heilige geteilte Jerusalem als Hauptstadt beider friedlich miteinander lebenden Staaten gegenseitig anerkannt.
Eine einfache Utopie. Viele Israelis wissen das auch, sind für Verhandlungen, für alle möglichen Lösungsversuche, wollen sich aber keine Illusionen über die Realisierbarkeit dieser Lösungen machen. Man soll verhandeln, und zwar so lange wie möglich. Vielleicht sogar eine oder zwei Generationen lang, denn nach den gescheiterten Schnellschüssen von Ehud Barak, Ehud Olmert und Zipi Livni will man nicht schon wieder vor gescheiterten Verhandlungen stehen. Nach einer am vergangenen Freitag veröffentlichten Umfrage der Tageszeitung Haaretz unterstützt eine klare Mehrheit der israelischen Bürger die Verhandlungen, verspricht sich aber nicht viel davon.
Konflikt Aber, so heißt es sehr oft, so kann es nicht weitergehen, eine Lösung muss gefunden werden und zwar schnell – was auch die etwas panisch anmutende Shuttle-Diplomatie des US-Außenministers John Kerry und auch die offiziellen und nicht immer hilfreichen Reaktionen der Europäischen Union erklärt. Ihr politischer Sinn besteht wohl darin, die Beteiligten an den Konflikt zu erinnern. Aber auf allen Seiten ist man sich der Unmöglichkeit einer schnellen Lösung sehr wohl bewusst und arbeitet auch schon sehr fleißig an Mechanismen – wie einem gesetzlich festgelegten Referendum –, die eigentlich nur den Zweck haben, das Gespräch zu verlängern und die Verhandlungen zu entschleunigen.
Dies können auch bewusst errichtete Blockaden auf dem Weg zu einer schnellen Lösung sein, aber in der Wirklichkeit des Nahen Ostens nennt man das Realpolitik.
Die Zweistaatenlösung mag in der Tat die beste aller vorhandenen Alternativen sein, aber keine Seite kann sie sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt wirklich erlauben. Für die jüdisch-israelische Seite des Konfliktes würde die sogenannte Lösung auch eine Lösung des sich seit 1967 aufgestauten Konfliktes zwischen Heiligkeit und politischer Souveränität bedeuten. Israel lebt mit diesem Widerspruch in einer recht gut funktionierenden, aber zerbrechlichen Demokratie. Diese Balance aufzugeben, kann ein zu großes Risiko sein.
Stolpersteine Und auf der palästinensischen Seite sind die Risiken einer Lösung nicht kleiner. Das Flüchtlingsproblem, Jerusalem und die Ausübung jüdischer politischer Souveränität werden immer Stolpersteine sein.
Nur am Rande wird über Modelle jenseits der Zweistaatenlösung nachgedacht. Für die meisten jüdischen Israelis ist die Besatzung eigentlich gar keine. Sie ist ein Hirngespinst der Welt da draußen.
Nun sind es am Ende Gespräche selbst, die die Welt verändern, und nicht irgendwelche Ergebnisse oder Lösungen. Solange das Gespräch ohne Inhalt aufrechterhalten wird, wird auch die Hoffnung weiterbestehen. Warum soll man diese den Konfliktparteien nehmen wollen?
Der Autor ist Soziologe am Academic College in Tel Aviv.