Gibt es No-go-Areas für Juden in deutschen Städten? Diese Frage hat sich Anfang Februar die »Zeit«-Reporterin Mariam Lau gestellt. Um eine Antwort darauf zu erhalten, verabredete sie sich mit dem Berliner Rabbiner Yehuda Teichtal zu einem 45-minütigen Spaziergang durch Neukölln. Der Bezirk hat nicht gerade den besten Ruf in der Hauptstadt – insbesondere in der jüdischen Gemeinschaft. Immer wieder kommt es in dem Stadtteil mit hohem Anteil arabisch- und türkischstämmiger Migranten zu judenfeindlichen Angriffen.
Mariam Laus Fazit ihrer unter dem Titel »Unterwegs an der Front« veröffentlichten Reportage: Es gibt Orte, die Juden meiden sollten. Viele Neuköllner nahmen zwar Notiz vom Rabbiner und gingen friedlich an ihm vorbei. Doch zur Wahrheit gehört auch, dass Autofahrer ihr Fenster herunterkurbelten und Teichtal »Yahoud!« hinterherbrüllten.
Schutz O-Ton Lau: »Ein Mann rempelt Teichtal an, eine Frau spuckt im Vorbeigehen auf die Straße – ob aus Versehen oder mit Absicht, ist beide Male nicht ganz klar. Leute hupen an der Ampel, grinsen ihn an, fühlen sich gedrängt, seine Gegenwart irgendwie zu kommentieren.« Und weiter: »Es fühlt sich alles nicht gut an, nicht selbstverständlich. Mit einem Fotografen zur Linken und einer Reporterin zur Rechten – es wirkt, als müssten wir ihn schützen.«
Nun wäre der Artikel ein guter Anlass zur Diskussion darüber gewesen, was viele Journalisten immer noch nur ungern benennen: Die muslimische Gemeinschaft hat ein massives Problem mit Judenhass in den eigenen Reihen. Stattdessen erschien vergangene Woche bei »Zeit-Online« eine Replik von Armin Langer, die Laus Beobachtung systematisch zu relativieren versucht.
Darin schreibt der frühere Rabbinatsstudent des Abraham Geiger Kollegs, der erst vor einigen Jahren sein Judentum entdeckt hat, dass Juden in Neukölln keine Angst haben müssen. Kein Wort davon, dass es gerade dort regelmäßig zu judenfeindlichen Attacken kommt. Alles im grünen Bereich, teilt er mit. Es kann nicht sein, was nicht sein darf.
Angriffe Kein Wort davon, dass Fußballer des jüdischen Sportvereins TuS Makkabi Berlin von Neuköllner Spielern Ende 2015 physisch und verbal mit Drohungen wie »Wir stechen euch ab!« attackiert wurden. Kein Wort davon, dass ein Mann einige Monate zuvor auf der Karl-Marx-Straße antisemitisch beschimpft und ins Gesicht geschlagen wurde. Kein Wort davon, dass in Neukölln während der European Maccabi Games 2015 mehrere als Juden erkennbare Personen antisemitisch angepöbelt und bedroht wurden. Die Liste ließe sich ohne Probleme weiter fortführen.
Zugleich verrät der Artikel auf »Zeit-Online« auch viel über den Medienbetrieb. Langer steht exemplarisch für jene Juden in Deutschland, die immer dann angerufen werden, wenn ein »kritischer Jude« benötigt wird. Er ist die neue Stimme in der »Muslimischer Judenhass ist halb so wild«-Bubble, doch das Prinzip bleibt dasselbe: Früher waren es Publizisten wie Abraham Melzer oder Rolf Verleger, heute ist es der sendungsbewusste Langer.
Und der liefert nur allzu gern, was verlangt wird. Sein zynisches Resümee von Laus Versuch: »Es passiert eigentlich nichts Spektakuläres.« Langer nimmt die Funktion des jüdischen Kronzeugen ein, der sich nur allzu gern gebrauchen lässt – und wird mit fünf Minuten »Ruhm« entlohnt. Beides ist in höchstem Maße unwürdig.
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