Faktenchek

Motive für antisemitische Angriffe verschieden

Foto: Getty Images / istock

Der Anschlag eines deutschen Rechtsterroristen an der Synagoge in Halle oder die mutmaßlich vereitelte Attacke eines 16-jährigen Syrers auf das Gotteshaus in Hagen sind nur zwei Beispiele, die zeigen: Für Jüdinnen und Juden aber auch für Menschen, die als jüdisch wahrgenommen werden, besteht in Deutschland die Gefahr, Opfer von gewaltbereitem Antisemitismus zu werden.

In diesem Zusammenhang wird im Netz unbelegt die These verbreitet, die »größte Bedrohung« für jüdisches Leben gehe »aktuell von islamistischer Seite aus«. In einem mittlerweile gelöschten Tweet heißt es, bei antisemitischen Straftaten sei »der Täter« angeblich »fast immer« ein Migrant aus der islamischen Welt. Für solche Behauptungen gibt es keine Belege. Die vorliegenden Daten jedenfalls zeigen: Der Antisemitismus in Deutschland kommt zum größten Teil aus dem rechtsextremistischen Milieu.

Im seinem jüngsten Jahresbericht »Politisch motivierte Kriminalität« für das Jahr 2020 ordnet das Bundeskriminalamt (BKA) nur einen sehr geringen Teil der insgesamt 2351 antisemitischen Straftaten dem Phänomenbereichen »religiöse Ideologie« (1,3 Prozent) und »ausländische Ideologie« (1,7 Prozent) zu. Zum zweitgenannten Punkt gehören Straftaten, bei denen »Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine aus dem Ausland stammende nichtreligiöse Ideologie entscheidend für die Tatbegehung war«, wie die Behörde schreibt.

Umstände Den weit überwiegenden Teil (94,6 Prozent) dieser Straftaten rechnet das BKA dem Phänomenbereich »rechts« zu. Das bedeutet: Die Umstände der Tat oder die Einstellungen der Verdächtigen bei allen antisemitischen Straftaten weisen der Behörde zufolge größtenteils Anhaltspunkte für eine politisch »rechte« Orientierung auf - etwa »Straftaten, bei denen Bezüge zum völkischen Nationalismus, zu Rassismus, Sozialdarwinismus oder Nationalsozialismus ganz oder teilweise ursächlich für die Tatbegehung waren«, heißt es vom BKA.

»Antisemitischer Hass und antisemitische Hetze sind feste Bestandteile der rechtsextremistischen Ideologie«, sagt Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) bei der Vorstellung des Jahresberichts »Politisch motivierte Kriminalität 2020« im Mai 2021 in Berlin.

Zu beachten ist aber: Dem Phänomenbereich »rechts« werden vom BKA auch Straftaten zugeschlagen, bei denen keine ausreichenden Informationen zum Motiv vorliegen, oder wenn nichts über Tatverdächtige bekannt ist. Doch kann man der Polizei nicht unterstellen, sie ordne wider besseren Wissens Fälle aus anderen Phänomenbereichen dem Rechtsextremismus zu. Es ist genauso wenig nachzuweisen, ob bei diesen völlig unbekannten Fällen ein Großteil Verdächtiger womöglich muslimisch sei, wie in sozialen Medien behauptet wird.

Angriffe Alexander Rasumny vom Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus (Rias) gibt zudem mit Blick auf die 57 Gewaltdelikte (davon 51 Körperverletzungen) in der BKA-Statistik von 2020 zu bedenken: »Bei tätlichen Angriffen gibt es eine viel bessere Datengrundlage über die Hintergründe und Tatverdächtigen als etwa bei Schmierereien oder Sachbeschädigungen.«

Eine Verzerrung in Richtung Phänomenbereich »rechts« basiere bei Gewaltdelikten weniger darauf, wie sie praktisch zuzuordnen sind, sondern eher auf einer mangelnden Sensibilität bezüglich aktueller Erscheinungsformen des Antisemitismus, sagt der Experte Ende September 2021 der Deutschen Presse-Agentur (dpa).

»Das Thema Antisemitismus wird sehr stark für rassistische Zwecke instrumentalisiert«, so Rasumny. Er hält Aussagen wie etwa, dass bei antisemitischen Straftaten die Verdächtigen »fast immer« aus der muslimischen Welt kämen, für reine Spekulation.

Rias erfasst und dokumentiert deutschlandweit bekannt gewordene antisemitische Vorfälle. Das Spektrum reicht dabei von extremer Gewalt (wie etwa dem Angriff mit einem Spaten auf einen jüdischen Studenten in der Nähe der Synagoge in Hamburg) über tätliche Angriffe und Sachbeschädigungen bis hin zu antisemitischen Beschimpfungen.

Corona-Leugner Rias kann im Jahresbericht 2020 von insgesamt 1909 dokumentierten Vorfällen 47,5 Prozent (906 Fälle) einem politisch-weltanschaulichen Hintergrund zuordnen. Davon entfallen mehr als die Hälfte (479 Fälle) auf die Kategorie Rechtsextremismus/Rechtspopulismus und etwa ein Viertel (247 Fälle) auf einen verschwörungsideologischen Hintergrund wie etwa bei Demonstrationen von Leugnern der Corona-Pandemie.

Die Motive »islamisch-islamistisch«, »antiisraelischer Aktivismus« und »links/antiimperialistisch« machen zusammen weniger als 10 Prozent der von Rias registrierten Vorfälle aus, bei denen ein politisch-weltanschaulicher Hintergrund bekannt ist.

Von 40 körperlichen Angriffen auf Jüdinnen und Juden 2020 kann Rias lediglich sechs einem konkreten weltanschaulichen Hintergrund zuordnen, so Rasumny gegenüber der dpa. Bei der Hälfte (drei Fälle) handelt es sich um rechtsextrem motivierte Gewalt, die anderen sind jeweils »links/antiimperialistisch«, »islamisch/islamistisch« oder »christlich/christlich-fundamentalistisch« motiviert.

Berlin Rias zufolge nutzen unterschiedliche Milieus verschiedene Gelegenheiten für ihre antisemitische Gewalt. 2021 etwa seien mehrere antisemitische Angriffe mit antiisraelischem Hintergrund bekannt geworden. In Berlin habe es 2017 und 2018 wiederum gehäuft antisemitische Angriffe aus dem links/antiimperialistischen Spektrum gegeben. »Auch wurden uns in der Vergangenheit immer wieder rechtsextreme antisemitische Angriffe im Kontext von Erinnerungsveranstaltungen bekannt«, sagt Rasumny.

Rias verwendet den Begriff »Rechtsextremismus« für »antimoderne, antidemokratische, antipluralistische und gegen die Menschenrechte gerichtete Einstellungen, Handlungen und Strömungen«. Merkmal sei etwa die Vorstellung von einer prinzipiellen Ungleichwertigkeit verschiedener Menschen(-gruppen) und die Forderung, sich einer ethnisch homogenen Gemeinschaft (»Volk«) unterzuordnen.

Als »islamisch« oder »islamistisch« erfasst Rias antisemitische Vorfälle, »die mit einer positiven Bezugnahme auf islamische Glaubensinhalte oder Symboliken verbunden sind, und bei denen kein anderer politisch-weltanschaulicher Hintergrund dominiert«. dpa

Syrien

Menschenrechtler warnen vor Völkermord in Syrien

Hunderte, vielleicht Tausende Alawiten sollen in Syrien von Islamisten ermordet worden sein. Die Gesellschaft für bedrohte Völker befürchtet einen Genozid. Damaskus verspricht die »Rückkehr zur Normalität«

von Christoph Schmidt  10.03.2025

Antisemitismus

Rabbiner Pinchas Goldschmidt zu Vorfall in München: »Abschieben! Noch heute!«

Drei junge Syrer randalierten am Samstag vor dem jüdischen Gemeindezentrum - in ersten Reaktionen forderten Rabbiner harte Konsequenzen

 10.03.2025

Berlin

»Qualitativer Sprung« bei Angriffen durch Israelhasser

Jörg Reichel, der Vorsitzende der Deutschen Journalisten-Union, und zwei seiner Kollegen wurden am Samstag von sogenannten »pro-palästinensischen Aktivisten« attackiert. Im Interview spricht er über den Angriff

von Imanuel Marcus  10.03.2025

Thüringen

Rechtsextreme AfD zerrt Stephan Kramer vor Untersuchungsausschuss

Der Partei ist der Verfassungsschutzchef ein Dorn im Auge, weil sie in Thüringen als gesichert rechtsextremistisch gilt

 10.03.2025

Hamburg

Meron Mendel und Saba-Nur Cheema mit Buber-Rosenzweig-Medaille geehrt

Der Historiker Meron Mendel und die Politologin Saba-Nur Cheema haben die Buber-Rosenzweig-Medaille erhalten - für ihr Engagement für interreligiöse Verständigung. Die Preisträger sind in der jüdischen Gemeinschaft umstritten

 10.03.2025

Brandenburg

Freundeskreis Israel des Landtags konstituiert sich neu

Den Vorsitz wird voraussichtlich der SPD-Abgeordnete Sebastian Rüter übernehmen

 10.03.2025

Weimar

Erneut Stolpersteine beschmiert

Bereits im Februar waren in der Stadt Stolpersteine beschmiert worden

 10.03.2025

In eigener Sache

Zachor!

Warum es uns besonders wichtig ist, mit einer Sonderausgabe an Kfir, Ariel und Shiri Bibas zu erinnern

von Philipp Peyman Engel  10.03.2025 Aktualisiert

München

Syrer randalieren vor Jüdischem Museum und spucken auf Fotos von Hamas-Geiseln

Einer der Täter trat einen Wachmann und zückte ein Messer. Erst als die Polizei zu schießen drohte, ließ er sich festnehmen

 09.03.2025