Meinung

Mord vor dem Kreml

Praktisch alle größeren Medien haben über den Mord an dem russischen Oppositionspolitiker Boris Nemzow berichtet, einem der prominentesten Kritiker des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Nicht nur das Opfer, auch der Ort des Attentats war besonders: Alles geschah auf der Brücke, die direkt zum Kreml und zum Roten Platz führt.

Es ist zwar nicht der erste Mord an einem Kremlkritiker, neu ist aber, dass es eine so prominente Persönlichkeit und noch dazu an einem so exponierten Ort trifft. Das lässt, unabhängig davon, wer hinter dem Mord steckt, nichts Gutes für die Zukunft Russlands erwarten. Auch der bisherige Verlauf der Ermittlungen gibt genug Anlass zu der Befürchtung, dass die Behörden an der Aufklärung nicht interessiert sind. Ob das stimmt, wird sich zeigen.

herkunft Was aber in den Berichten nicht oder nur kaum angesprochen wurde, ist die Herkunft des Opfers. Nemzow verheimlichte nie, dass seine Mutter Jüdin ist, ebenso wenig wie die Tatsache, dass er von seiner russischen Großmutter getauft wurde. Als er sich in seiner Jugend als Dichter versuchte, tat er das mit einem Pseudonym, das den Mädchennamen seiner Mutter benutzte: Ben Eydman. Auch wenn er seine jüdischen Wurzeln nicht verleugnete, bekannte er sich doch zum Christentum.

Nemzow verstand sich eindeutig als russischer Bürger und verband sein Leben mit Russland. Er pflegte auch keinen Kontakt zu den jüdischen Gemeinden, die eher an guten Beziehungen zum Präsidenten interessiert sind. Er war also ein gar nicht untypischer Fall für Kinder aus jüdisch-russischen Familien der Sowjetzeit.

karriere Bekannt war Nemzow aber nicht für seine Herkunft, sondern vielmehr für seine steile Karriere in den obersten Etagen der russischen Politik der 90er-Jahre, als ein Großteil der russischen Bevölkerung in bittere Armut abrutschte. Es überrascht nicht, dass Nemzow außerhalb der liberalen Öffentlichkeit, die scharfe Kritik an Putin formuliert, vor allem mit dieser Zeit assoziiert wurde und folglich mehr als genug Kritiker hatte.

Es ist aber bezeichnend, dass weder für seine Gegner noch für die Anhänger seine jüdischen Wurzeln von Bedeutung waren, auch nicht nach seinem Tod. Und das, obwohl Antisemitismus in Russland weit verbreitet ist. Bekanntlich braucht es für die Existenz des Antisemitismus keine echten Juden. Dieses Prinzip scheint auch in umgekehrter Richtung zu gelten: Ein Jude ruft noch keinen Antisemitismus hervor.

Der Autor ist Historiker in Freiburg.

Debatte

Jüdische Gemeinde zu Berlin stimmt Aussagen von Polizeipräsidentin zu

Barbara Slowik sagt, dass Juden und Homosexuelle in manchen Teilen der Hauptstadt nicht sicher seien. Zustimmung kommt von der Jüdischen Gemeinde - auch dafür, dass Urheber von Gewalt endlich einmal klar benannt werden

von Stefan Meetschen  19.11.2024

Bayern

»Wir brauchen eine klare Haltung«

Zentralratspräsident Josef Schuster hat heute Abend in Würzburg die Ehrendoktorwürde seiner Alma Mater erhalten. Hier dokumentieren wir seine Dankesrede an der Julius-Maximilians-Universität im Wortlaut

 19.11.2024

Europäische Rabbinerkonferenz

Rabbiner beunruhigt über Papst-Worte zu Völkermord-Untersuchung

Sie sprechen von »heimlicher Propaganda«, um Verantwortung auf die Opfer zu verlagern: Die Europäische Rabbinerkonferenz kritisiert Völkermord-Vorwürfe gegen Israel scharf. Und blickt auch auf jüngste Papst-Äußerungen

von Leticia Witte  19.11.2024

Hetzjagd auf israelische Fans

Comedian witzelt über Gewalt gegen Juden

Benaissa Lamroubal nennt auf Social Media die Ereignisse von Amsterdam eine »great experience« und wird dafür von seinen Fans gefeiert

von Ralf Balke  19.11.2024

Medien

Ausweitung der Kampfzone

Die israelfeindlichen Täter haben die »NZZ« ganz bewusst zum Abschuss freigegeben. Ein Kommentar

von Nicole Dreyfus  19.11.2024

Nürnberg

Jüdische Gemeinde kritisiert Vergabe von Menschenrechtspreis

Die PCFF bringt seit 1995 israelische und palästinensische Familien zusammen, die durch den anhaltenden Nahost-Konflikt ein Familienmitglied verloren haben

 19.11.2024

Rio de Janeiro/Jerusalem/Gaza

G20 fordern mehr Hilfe für Gaza

Laut Erklärung muss Israel mehr Hilfsgüter liefern, obwohl diesen Monat bereits 32.000 Tonnen ankamen

 19.11.2024

Berlin

Staatsrechtler: Neubewertung der AfD öffentlich machen

Muss sich das BfV mit Äußerungen zu Parteien, die unter Extremismus-Verdacht stehen, zurückhalten, wenn Wahlen anstehen? Ulrich Battis meint: nein

 19.11.2024

Antisemitische Hetzjagd

Amsterdams Bürgermeisterin will nicht mehr von »Pogrom« sprechen

Der Begriff würde genutzt, um die Spaltung der Gesellschaft voranzutreiben, sagt Femke Halsema

von Nils Kottmann  18.11.2024