Mehr als 68 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs hat das Simon Wiesenthal Center die Deutschen noch einmal zur Fahndung nach Naziverbrechern aufgerufen. Unter dem Motto »Spät, aber nicht zu spät.« wurden in Berlin, Köln und Hamburg insgesamt 2000 Plakate platziert – mit dem Aufruf an die Bevölkerung, bisher nicht verurteilte Kriegsverbrecher aufzuspüren. Efraim Zuroff, Leiter des Wiesenthal-Zentrums in Jerusalem und weltweiter Koordinator zur Bekämpfung von Nazi-Verbrechen, reiste zum Beginn der Aktion nach Berlin, wo die Plakate am Dienstagabend am Potsdamer Platz aufgehängt wurden.
Für »wertvolle Informationen« ist im Rahmen der Kampagne »Operation Last Chance II« eine Belohnung von bis zu 25.000 Euro ausgesetzt. Auf den Plakaten des Wiesenthal-Zentrums, die in Zusammenarbeit mit der Wall AG geklebt wurden, sind die Bahngleise und das Einfahrtstor zum Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau in Schwarz-Weiß zusammen mit dem Fahndungsaufruf zu sehen. Zuroff sagte, erste Hinweise seien bei der Hotline bereits eingegangen.
Gericht Der Leiter des Wiesenthal Center rechnet damit, dass von etwa 6000 Verbrechern, die in NS-Einsatzgruppen und deutschen Vernichtungslagern aktiv waren, noch etwa 120 am Leben sind. Etwa 60 von ihnen seien nach seiner Einschätzung in einem Gesundheitszustand, in dem sie vor Gericht gestellt werden könnten: »Jeder, der strafrechtlich belangt wird, ist ein Sieg«, sagte Zuroff der Jüdischen Allgemeinen. Doch auch die übrigen NS-Verbrecher sollten »nicht ruhig schlafen können«. Ehemalige Massenmörder verdienten auch als alte Männer kein Mitgefühl, betonte der Leiter des Wiesenthal-Zentrums.
Dieter Graumann, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, begrüßte die Aktion ausdrücklich. »Es bleibt schließlich nicht mehr viel Zeit, um die NS-Täter noch zur Rechenschaft zu ziehen«, so Graumann: »Besser spät als gar nicht. Sowohl für die noch lebenden Opfer als auch und vor allem für die heutige Generation ist das moralische Signal doch so wichtig: Unmenschliches Verhalten darf niemals unbestraft bleiben.«
Ausgangspunkt für die Plakatkampagne des Wiesenthal Center ist die Verurteilung von John Demjanjuk 2011 in München wegen 1000-facher Beihilfe zum Mord. Zum ersten Mal seit den 60er-Jahren wurde in diesem Prozess ein Nazi-Helfer verurteilt worden, dem keine konkrete Einzeltat nachgewiesen werden konnte. Damit können auch in Zukunft Täter bereits verurteilt werden, wenn ein Gericht ihnen nachweisen kann, dass sie in einem Vernichtungslager Dienst taten.
gerechtigkeit »Last Chance II« ist eine Nachfolgeaktion der Kampagne »Last Chance«, die das Wiesenthal Center ab 2002 in Osteuropa, Österreich und Deutschland gestartet hatte. Zuroff sagte, damals habe es Hinweise gegen 605 Verdächtige gegeben. 103 Namen seien den Justizbehörden übergeben worden, in acht Fällen sei es zu strafrechtlichen Maßnahmen gekommen.
»Jede Anklage ist eine wichtige Erinnerung daran, dass Gerechtigkeit für die Opfer des Holocaust immer noch erreicht werden kann«, sagte Zuroff. Auch Zentralratspräsident Graumann betonte: »Es geht hier schließlich um Gerechtigkeit. Und Gerechtigkeit kennt keine Verfallszeit.«
Leider habe es in der Nachkriegsjustiz bei der Aufarbeitung von NS-Verbrechen schwere und schwerste Versäumnisse gegeben: »In Deutschland wurde viel zu lange gewartet, um viele der damals Verantwortlichen zu belangen. Viel zu oft wurde weggeschaut, um zu viele Verbrecher erst überhaupt gar nicht anklagen zu müssen«, kritisierte Graumann.