Ein rotes Herz-Emoji und auf Arabisch die Worte »gesegnetes Opferfest« neben einem Foto vom Massaker an einer jüdischen Siedlerfamilie im Westjordanland – dieser Facebook-Post des Palästinensers Musaab A. A. aus dem Jahr 2017 war kürzlich Gegenstand einer Gerichtsverhandlung am Amtsgericht Tiergarten. Am vergangenen Montag folgte das Gericht dem Antrag des Oberstaatsanwalts auf Anwendung des Jugendstrafrechts und sprach eine Verwarnung aus.
Mindestens 817 Facebook-Freunde wurden »wie vorgesehen über das Einstellen des Bildes und den begleitenden Kommentar informiert«, hieß es in der Anklage. A. habe die Tötung der Familie gebilligt und dadurch den öffentlichen Frieden gestört, sagte der Oberstaatsanwalt in seinem Plädoyer. Die Verteidigerin hatte Freispruch verlangt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Der »Tagesspiegel« und die »B.Z.« hatten nach dem Urteil berichtet.
Für Irritation sorgte im Anschluss nicht nur das Urteil selbst, sondern zudem ein Foto des 24-jährigen Palästinensers, als er den Gerichtssaal verließ. Darauf ist der Mann zu sehen, wie er den Mittelfinger zeigt.
INSTRUMENTARIUM Um antisemitische, fremdenfeindliche oder andere diskriminierende Straftaten effektiver verfolgen zu können, hatte die Staatsanwaltschaft Berlin im September 2020 eine Zentralstelle für Hasskriminalität eingerichtet. Bei Billigung oder Belohnung von Straftaten droht Erwachsenen bis zu drei Jahre Haft.
Der Palästinenser war 2015 als »syrischer Flüchtling« über die Balkanroute nach Deutschland gekommen und hier als Flüchtling mit subsidiärem Schutz anerkannt worden. Angesichts seiner Vorstrafen wäre ein Instrumentarium anwendbar gewesen, um konsequent gegen antisemitische Straftaten vorzugehen.
»Die Sensibilisierung und das Bewusstsein bei Staatsanwälten und Richtern sind da.«
Claudia Vanoni, Antisemitismusbeauftragte der Generalstaatsanwaltschaft Berlin
In diesem Fall sei das allerdings schwierig gewesen, sagt Claudia Vanoni der Jüdischen Allgemeinen. Die Oberstaatsanwältin ist seit dem 1. September 2018 Antisemitismusbeauftragte der Generalstaatsanwaltschaft Berlin. Es sei richtig, dass Musaab A. A. bereits zweifach bestraft sei, unter anderem wegen Körperverletzung und einer antisemitischen Schmiererei – Antisemitismus mit Vorgeschichte und Gewaltpotenzial also.
Der Knackpunkt: »Der Angeklagte hat die Tat am 21. Juli 2017 begangen. Zu diesem Zeitpunkt war er nicht vorbestraft«, sagt Claudia Vanoni. Es habe danach zwar zwei Verurteilungen gegeben. Die Taten stammten allerdings von 2018. Im Zuge der Ermittlungen »zu dem Körperverletzungsdelikt« waren Handydaten sichergestellt worden. Bei den Auswertungen stießen die Beamten auf jenen Facebook-Eintrag und das Foto von 2017. »Für die Frage, ob der Angeklagte ›vorbestraft‹ war, gilt jedoch der Zeitpunkt bei Tatbegehung, nicht der des aktuellen Urteils.«
JUGENDSTRAFRECHT Zum anderen war der Mann zum Tatzeitpunkt 20 Jahre und drei Monate alt gewesen – und damit Heranwachsender. Hier sehe das Gesetz vor, dass »man auf Heranwachsende Jugendstrafrecht anzuwenden hat, wenn sie zur Tatzeit noch einem Jugendlichen gleichstehen«.
Von den persönlichen Verhältnissen zur Tatzeit habe es keine Erkenntnisse gegeben, das hat Claudia Vanoni beim Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft nachgefragt. Der Angeklagte selbst habe sich dazu nicht geäußert. »Man kann also nicht ausschließen, dass er zur Tatzeit in seiner Entwicklung einem Jugendlichen gleichstand.« Hier gelte demnach der Zweifelsgrundsatz. Daher sei auf ihn das Jugendstrafrecht angewendet worden.
Dass das Signal dennoch sehr unbefriedigend sei, bestreitet die Antisemitismusbeauftragte der Generalstaatsanwaltschaft nicht. »Ich verstehe, dass die Entscheidung schwer nachzuvollziehen ist. Sie ist der besonderen rechtlichen Konstellation im Jugendstrafrecht und dem Umstand geschuldet, dass diese Tat so lange zurückliegt« – nicht etwa einem Unverständnis der Justizbeamten für die Definition von Antisemitismus, betont Vanoni.
BEWUSSTSEIN Diese Klarstellung ist ihr wichtig. Die rechtlichen Hürden konnten in diesem Fall nicht so überwunden werden, dass man eine schärfere Strafe wie Geld- oder Freiheitsstrafe hätte verhängen können. Aber: »Die Sensibilisierung und das Bewusstsein bei Staatsanwälten und Richtern sind da«, sagt Claudia Vanoni. Nicht zuletzt aufgrund des Leitfadens zur Verfolgung antisemitischer Straftaten in Berlin, den die Antisemitismusbeauftragte der Generalstaatsanwaltschaft gemeinsam mit dem Antisemitismusbeauftragten der Polizei Berlin erstellt hat, der Arbeit der Zentralstelle für Hasskriminalität bei der Staatsanwaltschaft sowie Fortbildungen und Workshops. Die Nachfrage sei da sehr groß.
Wie ernst nehmen die Berliner Strafverfolgungsbehörden Antisemitismus? »Sehr ernst, davon bin ich überzeugt«, betont Claudia Vanoni. Doch das entbinde die Justiz nicht vom Gesetz. »Wir sind an die Gesetze gebunden, dies zwingt uns, auch die Besonderheiten im konkreten Fall zu berücksichtigen.«
Was hingegen sehr wohl möglich ist, ist die Ahndung der Mittelfinger-Geste unmittelbar nach der Verhandlung.
Was hingegen sehr wohl möglich ist, ist die Ahndung der Mittelfinger-Geste unmittelbar nach der Verhandlung. »Die Fachabteilung hat sofort ein Verfahren eingeleitet«, sagt Claudia Vanoni. Denn klar ist die Situation, in der er diese Geste gezeigt hat, und was er damit zum Ausdruck bringen wollte. Auch diese schnelle Reaktion der Fachabteilung sieht sie als Ergebnis eines gewachsenen Bewusstseins für Antisemitismus und seine vielfältigen Erscheinungsformen.
STRAFANTRAG Der Erfolg des neuen Verfahrens hänge nun davon ab, ob der betreffende Fotojournalist Strafantrag stellt. »Ich persönlich hoffe, dass er das tut, sodass Musaab A. A. dann wegen Beleidigung verfolgt werden kann und dabei die Gesamtsituation miteinbezogen wird.«
Denn jetzt gelte für ihn Erwachsenenstrafrecht, und derzeit stehe er unter laufender Bewährung. Das könne man bei der neuen Tat ganz anders bewerten – und auch die früheren Taten und Urteile sehr wohl heranziehen.