Für uns, die wir aus den tiefsten Tiefen der Hölle kamen, war es eine Wiedergeburt», erinnert sich Ariel Yahalomi an den 15. April 1945, als britische Truppen das Konzentrationslager Bergen-Belsen befreiten. Yahalomi, polnischer Jude Jahrgang 1923, ist einer von rund 100 Überlebenden aus aller Welt, die gemeinsam mit Politikern und weiteren Gästen am Sonntagmittag der Befreiung des Konzentrationslagers vor 70 Jahren gedenken.
Bei der Feier schildern neben Yahalomi auch Überlebende aus Frankreich, Polen, der Ukraine, Ungarn und den USA in eindringlichen Worten die Qualen, die sie in Bergen-Belsen erlitten und wie sie dann den Tag der Befreiung erlebt haben.
Wunde Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) nennt Bergen-Belsen eine Wunde, die sich niemals schließen wird. Und er mahnt: «Dass Menschen niemals wieder wegen ihrer Rasse, ihrer Herkunft, ihrer politischen Auffassung, ihres Glaubens oder ihrer sozialen Lage verfolgt und getötet werden dürfen – das muss der niemals endende Auftrag aus Bergen-Belsen sein.» Der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose, warnt: «Rassismus und Populismus bedrohen nicht nur die Rechte von Minderheiten, sondern zielen auf das Herz der Demokratie.»
Bundespräsident Joachim Gauck dankt in seiner Rede dem britischen Militär: «Die britischen Soldaten waren Botschafter einer demokratischen Kultur, die nicht auf Rache am Feind bedacht war, sondern dem Recht und der Menschenwürde auch in Deutschland wieder zu neuer Geltung verhelfen sollte», sagt Gauck. Es sei ihm ein tief empfundenes Bedürfnis, den Befreiern von Herzen Dank zu sagen.
Der Präsident des Jüdischen Weltkongresses, Ronald S. Lauder, beklagt ein Wiederaufleben des Judenhasses: «Antisemitismus ist in Europa wieder auf dem Vormarsch, Neonazis sitzen in den Parlamenten von Ungarn und Griechenland. Und die Führung des Irans verspricht wiederholt, Israel auszulöschen», sagt er. «Heute, 70 Jahre, nachdem dieses Lager befreit wurde, hören wir dieselben antisemitischen Lügen.» Die Verbrechen der Vergangenheit zu beklagen, aber zur gegenwärtigen Entwicklung zu schweigen, das sei nicht nur falsch, sondern empörend und unmoralisch, so Lauder.
DP-Camp Lauder ist mit einer Delegation des Jüdischen Weltkongresses gekommen, der auch einige Überlebende angehören. Einer von ihnen ist Jack Rosenthal aus Long Island/New York. Er ist 1929 in Rumänien geboren. Die Befreiung erlebte er als ehemaliger Auschwitz-Häftling nach dem Todesmarsch im Konzentrationslager Buchenwald. In Bergen-Belsen war er von Dezember 1945 bis Januar 1947, in einem Lager für Displaced Persons ließ er sich von der jüdischen Brigade Palästinas ausbilden, erzählt er. «Aber ich bin dann doch nicht nach Palästina gegangen, sondern habe mich für die USA entschieden.»
An den ersten Jahrestag der Befreiung in Bergen-Belsen kann er sich noch gut erinnern. Dass nun der 70. Jahrestag mit so großem öffentlichen Interesse und in Anwesenheit des deutschen Staatsoberhaupts begangen wird, findet er sehr gut. «Was hier geschehen ist, sollte nie vergessen werden. Denn was uns angetan wurde, kann auch anderen geschehen», sagt Rosenthal.
Nach der zentralen Feier, die nach zwei Stunden mit Kranzniederlegungen zu Ende geht, schaut er sich einige Gedenksteine an, auf denen Menschen frische Tulpen abgelegt haben. Dann blickt er auf das weite Gelände, zeigt auf die Erdhügel: «Sehen sie, darunter befinden sich Leichenberge. Daran zu denken, das ist kein angenehmes Gefühl», sagt der 86-Jährige und winkt ab. Jack Rosenthal geht wortlos in Richtung Ausgang.
Appell Unterdessen beginnt am jüdischen Mahnmal in Anwesenheit von Soldaten und jüdischen Veteranen der britischen Armee noch eine weitere kurze Zeremonie. Das Mahnmal war im April 1946 eingeweiht worden. Es trägt die Botschaft: «Earth Conceal Not The Blood Shed On Thee!» (Erde, verdecke nicht das Blut, das auf dir vergossen wurde!) Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, spricht dort von einem doppelten Appell, der auf dem Mahnmal verewigt wurde: «Vergesst nicht die Toten! Und: Zieht die Täter zur Rechenschaft! Lasst sie nicht davonkommen, auch wenn die Spuren verwischen.» Schuster betont, viel zu viele Täter seien ungeschoren davongekommen: «Wir wissen, wie unwillig die deutsche Nachkriegsgesellschaft war, sich ihrer Schuld zu stellen.» Heute werde mühsam versucht, doch noch Täter zur Rechenschaft zu ziehen: «Diese schrecklichen Verbrechen zu ahnden, sind wir den Opfern schuldig.»
Mit dem gemeinsam gesprochenen Kaddisch endet das Gedenken. Ariel Yahalomi ist sichtlich bewegt, als die Versammelten zum Schluss ganz spontan die Hatikwa, die israelische Nationalhymne, anstimmen. Israel ist seit 67 Jahren seine Heimat. Kurz nach der Befreiung hatte er sich nach Palästina durchgeschlagen, heute lebt er mit seiner Frau Keren in der israelischen Kleinstadt Lod. Von dort war er eigens zur Gedenkfeier angereist. Die Teilnahme sei für ihn eine Selbstverständlichkeit, sagt er: «Wir empfinden es als unsere Pflicht den nachfolgenden Generationen gegenüber, hier vor den möglichen Gefahren von Regimen und einigen ihrer Ideen zu warnen.» (mit epd)