FU Berlin

Mit links geforscht

Im Fokus auch vieler Linker: Juden und der jüdische Staat Foto: imago

Studien über den Rechtsextremismus in Deutschland füllen ganze Bibliotheken. Und auch der islamische Extremismus erfährt mittlerweile reichlich akademische Aufmerksamkeit. Wissenschaftliche Abhandlungen zum Linksextremismus und -radikalismus hingegen sind eher rar gesät.

Genau deshalb verdient das gerade veröffentlichte Buch Linksextreme Einstellungen und Feindbilder der beiden Wissenschaftler Monika Deutz-Schroeder und Klaus Schroeder vom Forschungsverbund SED-Staat an der Freien Universität Berlin viel Aufmerksamkeit. Es basiert auf den Ergebnissen eines mehrjährigen Forschungsprojekts im Rahmen des Bundesprogramms »Initiative Demokratie Stärken« und soll auf die demokratiegefährdenden Potenziale des Linksextremismus verweisen. Das Ergebnis: »Das linksextreme/
linksradikale Personenpotenzial liegt insofern bei 17 Prozent (in Westdeutschland bei 14 Prozent und in Ostdeutschland bei 28 Prozent).«

antisemitismus Natürlich darf in keiner deutschen Extremismusstudie das Thema Antisemitismus und Judenfeindlichkeit fehlen. Was nicht wirklich überrascht: »So stimmen 34 Prozent der von uns als linksextrem eingestuften Personen der Behauptung zu, Juden hätten in Deutschland ›zu viel Einfluss‹. Unter Personen, die als linksradikal eingestuft wurden, sind es immerhin noch 16 Prozent; insgesamt bejahen 10 Prozent der Befragten diese Behauptung.«

Eine ähnliche Befürwortung offenbarte sich bei der Einstellung zu dem antisemitischen Stereotyp, Juden seien geld- und raffgierig. Das klingt erst einmal dramatisch. Doch was nicht gesagt wird: Die Verbreitung antisemitischer Meinungen in den linken Milieus liegt damit deutlich unter denen, die in anderen Umfragen ermittelt werden, die die deutsche Gesellschaft als Ganzes auf ihre Ressentiments hin abklopfen.

In der Studie Die Mitte im Umbruch, 2012 von der Friedrich-Ebert-Stiftung in Auftrag gegeben, teilten 44,3 Prozent der Befragten teilweise bis voll und ganz die Meinung: »Auch heute noch ist der Einfluss der Juden zu groß.«

Mitte Und damit zeigt sich auch gleich eine fundamentale Schwäche: Die politische Mitte wird vielfach ausgeblendet. Zudem teilt sie das Manko zahlreicher Studien, die hierzulande der Einstellung der Bevölkerung gegenüber Juden auf den Grund gehen wollen: Sie beziehen sich fast ausschließlich auf den Kanon klassischer antisemitischer Stereotype wie »das Anderssein von Juden«, »Einfluss auf Politik, Wirtschaft und Medien« oder »Geldgier« und meiden das Thema Israel.

Darüber hinaus erscheinen die Definitionen dessen, ab wann jemand als »linksradikal« und »linksextrem« zu bezeichnen ist, reichlich willkürlich. Für Deutz-Schroeder und Schroeder ist eine Person »linksradikal«, wenn sie zwei Dritteln aller in der Untersuchung formulierten Statements zustimmt, und »linksextrem«, wenn dies bei drei Vierteln der Fall ist. Wer demnach schon das kapitalistische Wirtschaftssystem infrage stellt oder glaubt, die Industrie habe hierzulande zu viel Einfluss, gilt bereits als »linksradikal«.

öffentlichkeit Zudem beklagen die Autoren, dass es in der Öffentlichkeit kaum ein Bewusstsein für die Existenz von Gewalt von links gäbe – angesichts der ausführlichen Berichte, jüngst etwa anlässlich der Krawalle rund um die besetzten Häuser in der Rigaer Straße in Berlin, eine sehr mutige These.

Überhaupt neigen die beiden Forscher ein wenig zur Komplexitätsreduzierung, wenn sie überall nur linken Konsens in der Gesellschaft vermuten. Und auch die Äußerung »Linksextremisten rekrutieren ihren Nachwuchs aus dem linken Milieu, in dem sie fest verankert sind« klingt nicht wirklich tiefgründig.

kritik »Folgt man den Aussagen der Autoren, dann wäre der typische Linksextreme ein junger Ostdeutscher mit Hauptschulabschluss, der in der Landwirtschaft arbeitet«, lautet dazu die Einschätzung des Historikers und Publizisten Alexander Hasgall.

Überhaupt scheint die Herangehensweise der Forscher methodologisch äußerst fragwürdig, weshalb sie von der restlichen Wissenschaft unmittelbar nach der Publikation der Ergebnisse vor über einem Jahr auch nicht weiter ernst genommen wurden und viel Kritik ernteten. »Indem das Thema Antisemitismus bei der Buchveröffentlichung nun zum Aufhänger wird, wird Aufmerksamkeit geschaffen«, sagt Hasgall. »Jedoch bleibt angesichts der vielfältigen Mängel der Studie der Erkenntnisgewinn bescheiden.«

Israel

Kritiker werfen Sophie von der Tann Verharmlosung der Hamas-Massaker vor

Die ARD-Journalistin soll in einem Hintergrundgespräch gesagt haben, dass die Massaker vom 7. Oktober eine »Vorgeschichte« habe, die bis zum Zerfall des Osmanischen Reiches zurückreiche

 25.11.2025

Interview

»Weder die Verwaltung noch die Politik stehen an meiner Seite«

Stefan Hensel hat seinen Rücktritt als Antisemitismusbeauftragter Hamburgs angekündigt. Ein Gespräch über die Folgen des 7. Oktober, den Kampf gegen Windmühlen und kleine Gesten der Solidarität

von Joshua Schultheis  25.11.2025

Ramallah

Nach Hammer-Angriff auf Israeli - mutmaßlicher Täter getötet

Vor mehr als einem Jahr kam ein israelischer Wachmann im Westjordanland bei einem Angriff ums Leben. Seitdem haben israelische Sicherheitskräfte nach dem flüchtigen Täter gesucht

 25.11.2025

Orange Day

Palina Rojinski spricht über Gewalt in früherer Beziehung

Wie viele Frauen hat auch die Moderatorin einst in einer Beziehung Gewalt durch ihren Partner erfahren. Darüber spricht sie nun auf Instagram. Sie will anderen Mut machen, sich Hilfe zu holen

 25.11.2025

Entscheidung

Berlin benennt Platz nach Margot Friedländer

Jahrzehntelang engagierte sich die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer für Aussöhnung. Nun erfährt die Berlinerin nach ihrem Tod eine besondere Ehrung

 25.11.2025

Hanau

Rabbiner antisemitisch beleidigt

Für die Gemeinde ist die Pöbel-Attacke kein Einzelfall

 25.11.2025

Berlin

RIAS: Polizei erfasst antisemitische Taten lückenhaft

Der Bundesverband sagt, es gebe strukturelle Probleme, Unsicherheiten im Umgang mit Betroffenen und ein insgesamt unzureichendes Bild antisemitischer Hasskriminalität in den offiziellen Statistiken

 25.11.2025

TV-Tipp

Ein äußerst untypischer Oligarch: Arte-Doku zeigt Lebensweg des Telegram-Gründers Pawel Durow

Der Dokumentarfilm »Telegram - Das dunkle Imperium von Pawel Durow« erzählt auf Arte und in der ARD-Mediathek die Geschichte der schwer fassbaren Messengerdienst-Plattform-Mischung und ihres Gründers Pawel Durow

von Christian Bartels  25.11.2025

Doppel-Interview

»Wir teilen einen gemeinsamen Wertekanon«

Vor 60 Jahren brachte das Konzilsdokument »Nostra aetate« eine positive Wende im christlich-jüdischen Dialog. Bischof Neymeyr und Rabbiner Soussan blicken auf erreichte Meilensteine, Symbolpolitik und Unüberwindbares

von Karin Wollschläger  25.11.2025