Am Montagabend gab es in der bis auf den letzten Platz besetzten Frankfurter Paulskirche gleich mehrfach Standing Ovations für eine zierliche, weißhaarige Dame. Trude Simonsohn erhielt aus der Hand von Oberbürgermeisterin Petra Roth den mit 50.000 Euro dotierten Ignatz-Bubis-Preis für Verständigung. Nach Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse, dem früheren Limburger Bischof Franz Kamphaus und dem ehemaligen Frankfurter Oberbürgermeister Walter Wallmann ist sie die vierte Trägerin dieser Auszeichnung, mit der die Stadt Frankfurt das Andenken des großen Ignatz Bubis ehrt. Die Laudatorin Ruth Wagner, ehemals hessische Wissenschaftsministerin, war sich mit 900 Gästen einig: So zierlich Trude Simonsohn ist, so groß ist ihr Herz.
Die Preisträgerin hat nicht nur im Frankfurter Gemeindevorstand und als Gemeinderatsvorsitzende lange Jahre mit Bubis zusammengearbeitet – wie er hat sie eine große Begabung zum Brückenbauen, wie er hat sie den Holocaust überlebt.
Odyssee 1921 wurde Trude Simonsohn im mährischen Olmütz geboren. Dort verlebte sie eine behütete Kindheit. Sie besuchte eine tschechische Grundschule und das deutsche Gymnasium. Früh schloss sich das sportliche junge Mädchen der zionistischen Jugendbewegung an. Nach dem Einmarsch der Deutschen am 15. März 1939 verließ sie die Schule und bereitete sich auf die Alija vor. Bei Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wurde ihr Vater als Geisel verhaftet und in das Konzentrationslager Buchenwald verschleppt. Nach dem Attentat auf Reinhard Heydrich 1942 wurde auch Trude verhaftet. Ein Denunziant hatte aus ihrer illegalen zionistischen Jugendarbeit »illegale kommunistische Tätigkeit« gemacht. Es folgte eine sechsmonatige Odyssee durch verschiedene Gefängnisse.
Während einer zermürbenden, mehrwöchigen Einzelhaft erfuhr sie vom Tod ihres Vaters in Dachau. Als Einzige der nach dem Heydrich-Attentat Verhafteten wurde Simonsohn nicht ermordet, sondern nach Theresienstadt deportiert, wo sie Kameraden aus der zionistischen Jugendbewegung und ihre Mutter wieder traf. Dort lernte sie auch Berthold Simonsohn (1912–1978) kennen. Die beiden haben kurz vor dem bevorstehenden Abtransport nach Auschwitz rituell geheiratet. Trudes Mutter kam in Auschwitz ums Leben. Am 9. Mai 1945 wurde Trude durch die Rote Armee in Merzdorf, einem Außenlager des Konzentrationslagers Groß-Rosen, befreit. Ihr Mann Berthold erlebte den Tag der Befreiung in Dachau.
Arbeiterwohlfahrt Nach dem Krieg betreuten die Simonsohns in einem Davoser Tuberkulose-Sanatorium kranke NS-Opfer. Später arbeitete Trude mit überlebenden Kindern. 1950 zog das Ehepaar nach Hamburg. Sohn Mischa wurde geboren. 1955 kam die kleine Familie nach Frankfurt, wo Berthold den Wiederaufbau der Zentralwohlfahrtstelle leitete und ab 1962 einen Lehrstuhl an der Uni- versität übernahm. Trude Simonsohn arbeitete lange Jahre ehrenamtlich, zunächst als Jugendschöffin, nach dem Tod ihres Mannes in der Jugendgerichtshilfe der Arbeiterwohlfahrt. Sie engagierte sich für die Frankfurter Jugendbegegnungsstätte Anne Frank, im Überlebendenbeirat des Fritz- Bauer-Instituts und in vielen anderen Stiftungen und Organisationen.
Mit dem Ignatz-Bubis-Preis dankt ihr die Stadt Frankfurt vor allem für die unermüdliche Aufklärungsarbeit als Zeitzeugin. Seit 1978 berichtet Trude Simonsohn jungen Menschen über ihre Erlebnisse zwischen 1939 und 1945 – in Schulen, in Universitäten, auf Kongressen, in Kirchen, überall. Der Terminkalender der 89-Jährigen ist noch heute randvoll. Sie tut das für das Andenken an ihre ermordeten Leidensgefährten – und um an die wenigen zu erinnern, die den Verfolgten geholfen haben, so wie ihre Freundin, die heute 94-jährige Widerstandskämpferin Irmgard Heydorn.
»Wir sind nicht als Helden gemacht«, sagte Trude Simonsohn in ihrer Dankesrede und zitierte aus Brechts Galilei: »Arm ein Volk, das Helden braucht!« Und am Ende der Veranstaltung erzählte sie einen guten Witz. Ignatz Bubis hätte sich über diese Preisträgerin gefreut.