Es war knapp: Im Juli wird der Ökonom und ehemalige Parteiobmann der Grünen, Alexander Van der Bellen, als neuer österreichischer Bundespräsident vereidigt werden. In Anbetracht des politischen Erdbebens, das das kleine Land erschütterte, kann eher geröchelt werden als aufgeatmet.
Fast 50 Prozent der Wähler wollten den deutsch-nationalen Burschenschafter und europafeindlichen Rechtspopulisten Norbert Hofer von der FPÖ im höchsten Amt des Staates sehen. Mit nur knapp 31.000 Stimmen konnte sich der politisch links der Mitte stehende Van der Bellen durchsetzen.
polarisierung Die Stichwahl zwischen zwei politisch so gegensätzlichen Kandidaten sorgte für eine spürbare Polarisierung. Dass die beiden Kandidaten der ehemals großen Regierungsparteien SPÖ und ÖVP schon im ersten Wahlgang in die Bedeutungslosigkeit abstürzten, zeugt von einem historischen Umbruch.
Vielfach wurde die Wahl des Präsidenten als Richtungsentscheidung empfunden, gerade vor dem Hintergrund der Flüchtlingskrise: der pro-europäische, multikulturelle und weltoffene Kurs des Grünen-Mitglieds gegen die europafeindlichen, nationalistischen und autoritären Positionen des FPÖ-Kandidaten.
ängste Österreich ist mit einem blauen Auge davongekommen. Doch die nationalistischen Positionen, Ängste und Abschottungstendenzen dürfen genauso wenig ignoriert werden. Die Angst vor mehr antisemitischen Angriffen durch Zuwanderer dürfte der FPÖ auch Stimmen aus der jüdischen Gemeinde gebracht haben. Um diese bemüht sich die Partei, die selbst aus einem zutiefst antisemitischen Milieu stammt, in jüngster Zeit stark. Mit ihrer zur Schau gestellten pro-israelischen Haltung versucht sie, ihr braunes Image vergessen zu machen.
Was dabei betrüblich ist: So deutliche Worte zum Selbstverteidigungsrecht Israels, wie zuletzt von der FPÖ geäußert, sind von keiner anderen politischen Partei im Land zu vernehmen. Auch nicht von Alexander Van der Bellen.
Der Autor ist Redakteur beim Wiener »Standard«.