Das Haus der jüdischen Gemeinde in Pinneberg ist ein unscheinbarer weißer Bungalow. Am späten Montagnachmittag befindet sich außer dem Vorsitzenden Wolfgang Seibert niemand mehr hier. Pinneberg ist ein beschauliches Städtchen mit 40.000 Einwohnern nahe Hamburg, der Inbegriff für Provinzialität.
Es war hier immer ruhig. Bis Wolfgang Seibert bedroht wurde. Auf einer Homepage stand »dreckiger Jude« und »Pass auf, dass Allah dich nicht schon im Diesseits straft mit dem Tod.« Die Seite mit dem Namen »Islamic Hacker Union« ist mittlerweile nicht mehr zu erreichen. Gegen den Betreiber, einen 18-Jährigen namens Harry M. aus Neumünster, der ein Jahr zuvor zum Islam konvertierte, läuft ein Verfahren.
offene tür Seibert, 63, ist ein kräftiger Mann. Vor neun Jahren gehörte er zu den Gründungsmitgliedern der Gemeinde. »Mir war es immer wichtig, dass wir unsere Offenheit zeigen. Ich will hier keine Sicherheitsschleusen haben, das schreckt viele Menschen ab«, sagt er. Also gibt es kei- nen Zaun, das Haus ist ohne Weiteres zugänglich. Doch nun herrscht Angst. Früher ist Seibert immer ohne Furcht auf die Straße gegangen. »Heute komme ich aus der Tür, schaue mich dreimal um und kontrolliere mein Auto, bevor ich einsteige.«
Hintergrund für die Drohungen im Internet war eine Presseanfrage. Seibert, der seit acht Jahren der Gemeinde vorsteht, wurde von einer Nachrichtenagentur gebeten zu sagen, was er vom bevorstehenden Auftritt des als Hass-Rapper geltenden Deso-Dogg in der Pinneberger Al-Sunnah-Moschee halte. »Daraufhin hab ich mich zum ersten Mal eingehender mit diesem Gotteshaus beschäftigt«, sagt Seibert. Als die Moschee eröffnet wurde, habe er sich gefreut. Denn Seibert wünscht sich ein konstruktives Miteinander der Religionen.
Verfassungsschutz Doch dann erfuhr er von Aufrufen zum »Heiligen Krieg«. Davon, dass sich die türkisch-muslimische Gemeinde Pinnebergs längst von der Al-Sunnah-Moschee distanziert habe und der Verfassungsschutz sie für problematisch hält. Also teilte Seibert den Pressevertretern mit, dass eine Moschee, in der solche Ansichten propagiert würden, geschlossen werden müsste.
Diese Einschätzung erzürnte Harry M. Auf dessen Website erschien ein Porträt Seiberts mit einer Todesdrohung. »Wir nehmen die Sache sehr ernst«, sagt Horst Eger. Der Chef des schleswig-holsteinischen Verfassungsschutzes sieht eine »neue Qualität, wie wir sie seit dem Kofferbomber von Kiel 2006 nicht mehr hatten«. Bei der Razzia in Harry M.s Wohnung wurden Computer und andere Datenträger sichergestellt. Der junge Mann ist inzwischen wieder auf freiem Fuß. Bei der Al- Sunnah-Moschee heißt es, man kenne ihn kaum. Seibert aber weiß, dass der Gemeindevorsteher mit Harry M. befreundet ist.
Die Bürgermeisterin von Pinneberg, Kristin Alheit (SPD), will nun einen runden Tisch aller Religionen organisieren. Seibert, der sich als Linker versteht, hätte früher einen solchen Vorstoß gutgeheißen. Aber von einem Dialog mit Vertretern der Al-Sunnah-Moschee hält er wenig. Dennoch möchte er verhindern, dass vorschnell geurteilt wird: »Man muss aufpassen, dass es nicht heißt: ›die Muslime‹.«
Und wie soll es jetzt weitergehen? »Ich bin von Haus aus eher Zyniker«, sagt Seibert, während er das Gemeindehaus abschließt. »Das hilft auch gegen die Angst. Man darf sich ja nicht von solchen Drohungen beeinflussen lassen. Sonst haben Menschen wie Harry M. genau das erreicht, was sie wollten.« Dann steigt Wolfgang Seibert in sein Auto. Ohne es vorher umrundet zu haben.