In Deutschlands Nachbarland Belgien wird der Tonfall in Bezug auf den Nahostkonflikt immer schriller. Jetzt hat sich die föderale Entwicklungshilfeministerin Caroline Gennez zur Wort gemeldet und sorgt mit einen NS-Vergleich für Empörung. Auch in Richtung Berlin schoss die Politikerin Pfeile ab.
Im Interview mit dem flämischen Nachrichtenmagazin »Knack« warf Gennez der Bundesregierung vor, sich »vor den Karren Israels spannen« zu lassen. Während der jüdische Staat »eine schamlose Politik der Kolonisierung« betreibe, lasse Deutschland sich von Israel täuschen, behauptete die Sozialdemokratin.
Gennez ging sogar noch weiter und zog einen Vergleich zwischen Israel und den Verbrechen der Nationalsozialisten. An ihre »deutsche Freunde« gewandt fragte sie: »Werdet ihr wirklich zweimal auf der falschen Seite der Geschichte stehen? Werden wir weiterhin zusehen, ob es zu einer ethnischen Säuberung kommt?« fragte sie und gab dann ihrer Hoffnung Ausdruck, dass »die Deutschen tief in ihr eigenes Herz blicken (mögen) und sich nicht von ihren eigenen historischen Traumata stören lassen. Man sollte immer versuchen, ein Trauma zu überwinden, egal wie schwierig das ist.« Dass sie damit die Nazi-Vergangenheit meinte, sprach sie nicht offen aus.
Deutschland dulde innerhalb der Europäischen Union kaum Kritik an Israel. »Ich habe Deutschland immer für seine Fähigkeit bewundert, der eigenen Kriegsvergangenheit ins Auge zu blicken. Damit bildete es die Grundlage des europäischen Projekts«, so die Ministerin. Es sei daher »schwer zu verstehen, dass sich eben dieses Deutschland von dieser israelischen Regierung, die eine schamlose Siedlungspolitik betreibt, derart einwickeln lässt.«
»Äußerungen sind verletzend und skandalös«
Die eigene Politik hingegen lobte sie. Belgien stehe an der Seite aller zivilen Opfer, betonte Gennez. Die Taten der Hamas und Israels Militäroperation stellte sie auf eine Stufe. Wörtlich sagte sie: »Hamas hat 1200 Israelis ermordet, entführt oder vergewaltigt. Das ist ein Verstoß gegen das Völkerrecht und das Kriegsrecht. Aber auch Israel verstößt als Besatzungsmacht seit Jahren im Westjordanland und im Gazastreifen gegen das Völkerrecht. Es sind immer die einfachen Leute, die die Opfer sind.«
Die heute 48-Jährige war von 2007 bis 2011 Parteivorsitzende der flämischen sp.a-Partei, welche später in »Vooruit« umbenannt wurde. Seit gut einem Jahr amtiert Gennez als föderale Ministerin für Entwicklungszusammenarbeit.
Der Abgeordnete Michael Freilich von der größten Oppositionspartei im belgischen Parlament, der flämischen NVA, forderte die Ministerin zur Rücknahme ihrer Äußerungen auf. »Ich verstehe, dass Emotionen hochkochen können, wenn man über diesen Konflikt spricht. Aber diese Äußerungen sind verletzend und es ist skandalös, Israel mit Nazi-Deutschland auf eine Stufe zu stellen. Ich bitte Ministerin Gennez, ihre Worte zurückzunehmen«, so der jüdische Parlamentarier.
Laut Gennez gebe es keinen einzigen europäischen Mitgliedstaat, der Israels Existenzrecht in Zweifel ziehe. »Aber das sollte nicht bedeuten, dass wir der unverhältnismäßigen Gewalt gegenüber der Zivilbevölkerung einfach tatenlos zusehen sollten - selbst wenn es sich um eine Vergeltung für einen Terrorakt handelt«, sagte Gennez.
Die Entwicklungshilfeministerin ist bei Weitem nicht die einzige Spitzenpolitikerin des Landes, die sich auf Israel eingeschossen hat. Die Grüne Petra De Sutter, stellvertretende Premierministerin Belgiens, will Israel vor dem Internationalen Gerichtshof verklagen. »Wir können dem enormen menschlichen Leid in Gaza nicht tatenlos zusehen, wir müssen gegen den drohenden Völkermord handeln«, schrieb Sutter am Dienstag auf X (ehemals Twitter).
»Ich möchte, dass Belgien im Anschluss an die Klage Südafrikas vor dem Internationalen Gerichtshof tätig wird. Ich werde dies der belgischen Regierung vorschlagen«, fügte sie hinzu.
De Sutter fordert seit Längerem eine härtere Linie Belgiens. Es sei jetzt an der Zeit, Israel zu boykottieren, und forderte die belgische Regierung auf, Handelssanktionen gegen den jüdischen Staat einzuführen, um gegen den »täglichen Tod von Kindern in Gaza« zu protestieren. Ob es dazu kommen wird, ist allerdings noch unklar. Im November hatte sich die aus mehreren Parteien bestehende Föderalregierung darauf geeinigt, 5 Millionen Euro für die Untersuchung möglicher Kriegsverbrechen in Gaza bereitszustellen.
AJC: »Hetze gegen Israel nimmt immer mehr antisemitische Züge an«
Daniel Schwammenthal, Geschäftsführer des Transatlantic Institute, der Vertretung des American Jewish Committee in Brüssel, zeigte sich gegenüber dieser Zeitung empört über die Aussagen von De Sutter und Gennez. »Die anti-israelische Hetze der belgischen Regierung nimmt immer mehr antisemitische Züge an. Innerhalb weniger Stunden zieht eine belgische Ministerin indirekt unsägliche Vergleiche zwischen Israel und Nazis, während die Vize-Premierministerin Israel des Völkermords bezichtigt«, so Schwammenthal.
Es sei an Perfidie nicht zu übertreffen, wenn man den jüdischen Staat mit den größten Verbrechern am jüdischen Volk vergleiche oder die UN-Völkermordkonvention von 1948, die als Folge des Holocaust an den Juden verabschiedet worden sei, missbrauche, um Juden zu dämonisieren. »Diese nach der IHRA-Definition antisemitischen Äußerungen kommen just zu einem Zeitpunkt, an dem Belgien die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt. Um Schaden für das Ansehen Belgiens und der gesamten EU abzuwehren, müssen sich diese beiden Ministerinnen sofort für ihre Aussagen entschuldigen und die anderen Koalitionspartner sich von ihnen distanzieren«, forderte der AJC-Vertreter.
Volker Beck, Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, forderte sogar den Rücktritt von Ministerin Gennez. »Wie verwirrt kann man sein, dass man Israels Selbstverteidigung mit dem Massenmord an den europäischen Juden gleichsetzen kann? Das ist plumpester Antisemitismus«, sagte beck dieser Zeitung. »Wer meint, Israel Belehrungen zur Verhältnismäßigkeit bei der Kriegsführung geben zu müssen, sollte in seiner Rhetorik darauf achten, nicht selbst jedes Maß vermissen zu lassen. Diese Ministerin sollte zurücktreten. Sie ist dem Amt intellektuell nicht gewachsen.«
Europäischer Jüdischer Kongress: »Das ist ein Skandal«
Der Europäische Jüdische Kongress (EJC), dem auch der Zentralrat der Juden in Deutschland angehört, verurteilte »auf das Schärfste« die Äußerung von Caroline Gennez. »Die Verharmlosung des Holocausts verstößt gegen die Grundwerte der europäischen Demokratien und untergräbt die IHRA-Arbeitsdefinition gegen Antisemitismus, die Belgien seit 2018 unterzeichnet hat. Die Verwendung des Holocausts, der systematischen und geplanten Abschlachtung des jüdischen Volkes, die zum Tod von sechs Millionen Juden führte, als Vergleichspunkt ist ein Skandal und hat im Diskurs eines Politikers nichts zu suchen, schon gar der Ministerin eines Landes, das den Vorsitz im Rat der Europäischen Union innehat«, so der EJC.