Der Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus (RIAS) hat im Bundestagswahlkampf mindestens 38 antisemitische Vorfälle dokumentiert. Die überwiegende Zahl der Vorfälle (34) fand auf offener Straße statt, heißt es in einem dem Evangelischen Pressedienst (epd) vorliegenden Bericht, der am Freitag in Berlin veröffentlicht werden soll.
Bei der Mehrzahl der Vorfälle (28 von 38) wurden Parteien beziehungsweise ihre Wahlkampfplakate antisemitisch beschmiert oder beklebt. In elf Fällen waren dabei die Grünen und in neun Fällen die SPD das Ziel. CDU/CSU und die Linke waren in drei beziehungsweise vier Fällen die Adressaten.
Häufig wurden die Politikerinnen und Politiker mit Davidsternen oder dem Wort »Jude« als feindlich markiert. Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock sei zudem schon nach ihrer Nominierung im April in den sozialen Medien Ziel einer antisemitischen Kampagne gewesen. So sei ihr unter anderem von einem Bundestagsabgeordneten der AfD auf Facebook unterstellt worden, dass sie eine Marionette des jüdischen Milliardärs George Soros sei.
In zwölf Fällen gab es einen Bezug zur Corona-Pandemie, heißt es
in dem Bericht weiter. So wurden auf Aufklebern, Zetteln oder
Schmierereien an Wahlplakaten Schoa-bagatellisierende Inhalte
verbreitet, etwa Schriftzüge wie »Impfen macht frei«.
Bei Versammlungen im Rahmen des Wahlkampfes hat RIAS sechs Vorfälle gezählt, davon vier auf AfD-Veranstaltungen. Auch bei einer Veranstaltung der der »Querdenken«-Szene zuzuordnenden Partei »Die Basis« wurden antisemitische Inhalte reproduziert, die bereits vorher über den Messengerdienst Telegram verbreitet worden seien.
In drei Fällen seien Wahlplakate an Gedenkorten von NS-Verbrechen angebracht worden. So habe beispielsweise die AfD ein Plakat mit der Aufschrift »Mut zur Wahrheit« auf dem Parkplatz der Gedenkstätte Buchenwald aufgehängt. Die rechtsextreme Kleinstpartei »Die Rechte« brachte Plakate mit dem Slogan »Wir hängen nicht nur Plakate auf« direkt vor der Gedenkstätte KZ-Außenlager Schillstraße in Braunschweig an. Diese Vorfälle seien nicht in die Statistik eingeflossen, stellten aber eine Störung der Erinnerung an die Verbrechen im Nationalsozialismus dar, so die Recherchestelle.
Mehr als zwei Drittel (26) der bekannt gewordenen Vorfälle ereigneten sich laut RIAS im Zeitraum zwischen Mitte August und Mitte September. Vor allem in der ersten Septemberhälfte, in der »heißen Wahlkampfphase«, sei durchschnittlich mehr als ein Vorfall pro Tag dokumentiert worden. Nach wie vor müsse aber von einer großen Dunkelziffer ausgegangen werden. epd