Das Spannungsverhältnis zwischen der Mehrheitsgesellschaft und den ethnischen, kulturellen und religiösen Minderheiten in Deutschland stand im Mittelpunkt der 2. Heidelberger Gespräche. Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Publizistik nahmen am Freitag an dem Gespräch im Forum der Deutschen Bank in Berlin-Mitte teil, darunter ZDF-Intendant Thomas Bellut, Publizist Bernd Naumann und der ehemalige WDR-Chef Fritz Pleitgen. Mit dabei war auch der frühere DFB-Präsident Theo Zwanziger, der über seine Erfahrung vom Sport als Lernort für Toleranz berichtete.
Eingeladen hatte die Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg. Der Vizepräsident des Zentralrats der Juden und Schirmherr der Veranstaltung, Salomon Korn, sagte, dass die Hochschule es als eine ihrer wesentlichen Aufgaben ansehe, »die Mehrheitsgesellschaft mit dem Blick von Minderheiten und Minderheiten mit dem Blick von Mehrheiten vertraut zu machen«. Der soziale Frieden in Deutschland und Europa hänge mehr denn je davon ab, ob ein Auseinanderbrechen der Gesamtgesellschaft in Teilgesellschaften vermieden werden könne. Derzeit stünden sich Forderungen der Mehrheitsgesellschaft nach Integration und auf der anderen Seite die nach Wahrung religiöser und kultureller Eigenheiten der Minderheiten gegenüber. Um daraus entstehende Spannungen zu vermeiden, bedürfe es innovativer Ansätze, betonte Korn. Die Hochschule wolle hier einen Beitrag leisten.
Aktionsprogramm Korn verwies dabei auf das Aktionsprogramm »Begegnen - Verstehen - Mitgestalten«. Dessen Ausgangsprogramm ist das Jugenddialogprojekt Likrat, bei dem seit mehreren Jahren jüdische Jugendliche Schulklassen in Baden-Württemberg, Bayern und Nordrhein-Westfalen besuchen und den Altersgenossen ein gegenwartsbezogenes Bild des Judentums vermitteln. Koordinatorin Maja Nizguretzki und zwei Likrat-Teilnehmer stellten am Freitag das Projekt vor und
berichteten von ihren Erfahrungen.
Gastgeber des 2. Heidelberger Gesprächs war der Chef der Deutschen Bank, Jürgen Fitschen. Er sprach zum Auftakt über die Geschichte und die moralische Orientierung seines Unternehmens. Fitschen betonte, dass sich die Deutsche Bank in Bezug auf die NS-Zeit zu ihrer Verantwortung bekannt habe, die Beschäftigung mit dieser Vergangenheit nicht als abgeschlossen zu betrachten sei. Er sagte: »Ich glaube, wir werden nie zu einem Schluss der Diskussion kommen, aber von gegenseitiger Offenheit profitieren.«
Zivilisationsbruch Die Impulsreferate kamen von den Historikern Norbert Frei von der Friedrich-Schiller-Universität Jena und Ulrich Herbert von der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Sie widmeten sich in ihren Referaten dem Zivilisationsbruch, der Missachtung des Andersseins im NS-Staat.
Norbert Frei wies unter anderem auf die weit verbreitete Vorstellung hin, dass sich Institutionen, Banken und Unternehmen damals »nur irgendwie zum Nationalsozialismus verhalten« hätten. Doch sei das Projekt Nationalsozialismus der Gesellschaft nicht von Außenseitern aufgenötigt worden, sondern habe überraschend schnell eine gesamtgesellschaftliche Unterstützung gefunden.
Ulrich Herbert schilderte die Geschichte des Umgangs mit Minderheiten in Deutschland anhand von vier historischen Szenarien. Er berichtete dabei unter anderem von der Ablehnung der Zuwanderung ausländischer Arbeiter am Ende des 19. Jahrhunderts und von der hochschulpolitischen Diskussion in den 1920er-Jahren, die bereits von der Judenfrage geprägt war.
Diskussion ZDF-Intendant Thomas Bellut fand, dass die Wissenschaftler in beeindruckender Weise die Banalität der Diskriminierung dargestellt hatten, und die Verbindung zur Gegenwart sehr leicht herzustellen sei. Dies habe die anschließende Diskussion über aktuelle Themen der Gewalt gegen Asylanten oder Ausgrenzung von Sinti und Roma gezeigt. »Für mich als Medienmensch war es sehr aufschlussreich, dem einfach mal zuzuhören«, sagte Bellut.
Hochschulrektor Johannes Heil unterstrich, wie wichtig es sei, aktuelle Fragen aus unterschiedlichen Perspektiven zu diskutieren, womit die Hochschule auch ihrem Auftrag nachkomme, einen Effekt in die Gesellschaft hinein zu haben. Ende Oktober ist das 3. Heidelberger Gespräch geplant.