Herr Lieberberg, Sie hatten sich mit Xavier Naidoo solidarisiert. Nun singt er, Muslime trügen den »Judenstern«. Regt Sie das auf?
Ich war irritiert! Erst wenige Tage zuvor hatte ich eine Aktion initiiert, bei der Künstler und Kulturschaffende ihre menschliche Solidarität mit Xavier Naidoo in einer Zeitungsanzeige zum Ausdruck brachten: »Menschen für Xavier Naidoo«. Das bezog sich vor allem auf die heftige Polemik im Zusammenhang mit dem European Song Contest. Die Unterzeichner waren der Auffassung, dass die überzogene Kritik Xavier Naidoo nicht gerecht werde.
Was sagen Sie zu dem neuesten Song?
Mich befremdet unter anderem die Zeile »Muslime tragen den neuen Judenstern«. Diese Aussage bewerte ich als zynisch, zwanghaft und geschichtsverfälschend.
Von Ihrer Unterstützungsaktion wollen Sie sich aber nicht distanzieren?
Nein, die Aktion war ein Zeichen für Toleranz, und dazu stehe ich uneingeschränkt.
Kritiker hatten auf viele frühere Äußerungen von Naidoo hingewiesen.
Es hat einzelne ambivalente Statements gegeben, die ich nicht teile. Aber nichts davon sollte als antisemitisch oder homophob eingestuft werden. Auch bei seinem spontanen Auftritt vor »Reichsbürgern«, den ich nicht verstehe, hat er sich nicht zu Juden oder zum Judentum geäußert. Ich halte seine Beteiligung zwar für falsch, gestehe ihm aber die Freiheit zu.
Wie erklären Sie sich seine Statements?
Er sieht die Welt mit seinen Augen und seinem eigenen Glauben. Und er spürt eine tiefe Verpflichtung, seine »Wahrheit« auszusprechen. Er ist fest davon überzeugt, im Recht zu sein und die Fakten besser zu kennen als seine Opponenten. So ist er zum Beispiel der Ansicht, dass die Terroranschläge des 11. September in New York falsch bewertet werden.
Was antworten Sie, wenn er solche Thesen, etwa zu 9/11, äußert?
We agree to disagree.
Aber Sie argumentieren doch?
Ich habe versucht, mit ihm zu reden, ihn von dem falschen Vergleich zwischen Muslimen und Juden, die den »Judenstern« tragen mussten, abzubringen. Habe meine persönliche Betroffenheit zum Ausdruck gebracht und auf die Stigmatisierung meiner Verwandten hingewiesen. Und auch, dass meine Enkelkinder hier in Frankfurt täglich in einen schwer bewachten jüdischen Kindergarten gehen müssen. Und dass es meines Wissens in ganz Europa keine einzige Moschee gibt, die bewacht werden muss – ganz im Gegensatz zu den Synagogen.
Was antwortet er darauf?
Er versteht das, sagt aber es läuft darauf hinaus und verweist auf angeblich bereits zwei Millionen ermordete Muslime. Xavier Naidoo begründet seine Darstellung mit Forderungen amerikanischer Präsidentschaftskandidaten wie Donald Trump, die jüngst eine Kennzeichnung von Muslimen gefordert haben. Dennoch: Xavier Naidoo ist weder ein bösartiger Mensch noch ein Judenfeind. Er war in Israel, hat dort gespielt. Seit 20 Jahren kenne ich ihn, und ich habe in dieser Zeit keine einzige diskriminierende Äußerung wahrgenommen.
Auch nicht die auf die Rothschild-Familie gemünzte Textzeile: »Baron Totschild gibt den Ton an«?
Diese Formulierung ist eher geschmacklos. Er hätte ebenso einen Reim auf Ackermann oder Abs machen können. Dennoch, wenn ich alle Songs meiner Künstler auf die Goldwaage legen würde, stellte sich bald heraus, dass sie sehr viele fragwürdige Textstellen enthalten. Ich bin kein Beckmesser!
Bedauern Sie, dass über Xavier Naidoo nun so heftig diskutiert wird?
Ich verstehe die Diskussion. Aber ich bleibe dabei: Xavier Naidoo ist weder antisemitisch noch homophob. Da gibt es viele Missverständnisse und Widersprüche. Dass er sich mit Jürgen Todenhöfer zusammengetan hat, ist gewiss nicht hilfreich. Dieser IS-Propagandist ist »Bad Company!« Das habe ich Naidoo auch gesagt.
Marek Lieberberg
Geboren 1946 als Kind von Schoa-Überlebenden im DP-Camp Zeilsheim, wurde Lieberberg zu einem der erfolgreichsten Konzertveranstalter der Welt. 1992 organisierte er das Konzert »Heute die! Morgen Du!« gegen die Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen.
Mit dem Konzertveranstalter sprach Martin Krauß.