Herr Mansour, in Berlin wurden zwei Jugendzentren für Mädchen geschlossen, weil deren Geschäftsführerinnen bei Demonstrationen und online anti-israelisch und antisemitisch aufgetreten sind. Hat Sie das überrascht?
Mich hat überrascht, dass man überhaupt mal Konsequenzen gezogen hat. Aber es hat mich nicht überrascht, dass es dazu gekommen ist, denn dass manche in der pädagogischen oder der Sozialarbeit solch antisemitische Einstellungen haben, ist leider kein Einzelfall.
Sie meinen, das ist nur die Spitze des Eisbergs?
Dass in der Sozialarbeit oder Pädagogik viele Leute mittlerweile mehr Sympathien für die Hamas als für Israel hegen, sollte uns leider nicht überraschen, denn wir erleben es ja überall in Deutschland. Warum sollten Pädagogen anders sein als die Gesamtgesellschaft? Dass die Leute dann aber auch ohne Hemmungen ihren Hass offen in die sozialen Medien tragen, ist für mich eine massive Grenzüberschreitung.
Und dass sie sich auf Demonstrationen vermummt gegen die Polizei stellen ...
Allerdings. Und noch etwas müssen wir erwähnen, auch wenn es ein Tabuthema ist: In meiner Arbeit merke ich, dass manche Menschen nach dem 7. Oktober ihr wahres Gesicht gezeigt haben; Menschen, die vorher immer von Links, Toleranz, Anti-Radikalisierung und Antisemitismusprävention gesprochen haben, die nun plötzlich nicht mehr zur Zusammenarbeit bereit sind und auch kein Problem damit haben, islamistische Propaganda zu verteilen oder auf einen antisemitischen Kongress zu laufen.
Israel hat immer wieder Krisen und Kriege mit der Hamas erlebt, was ist diesmal anders? Was wurde da freigesetzt?
Emotionen auf einer ganz anderen Ebene. Dieses Mal, und das ist der Unterschied zu allen anderen Eskalationen, organisieren sich nicht nur Palästinenser selbst, sondern auch Anhänger der postkolonialen Studies und sogenannte Antirassisten, die das Ganze deutlich professioneller machen. Und die Tatsache, dass die Hamas gerade erfolgreich mit anderen Akteuren des politischen Islam die größte Kampagne der Menschheitsgeschichte in den sozialen Medien betreibt. Das Ergebnis ist eine Diskursverschiebung, Emotionalität und die Mobilisierung auf der Straße. Die Leute wollen nicht mehr neutral sein, sondern sie zeigen, wie gesagt, ihr wahres Gesicht.
Hätten Sie damit gerechnet, dass es so »gut« funktioniert?
Es wundert mich nicht. Ich habe in den vergangenen zwei Jahren immer wieder darauf hingewiesen, dass die BDS-Bewegung sich zunehmend professionalisiert, und wir haben es nicht einmal ernst genommen. Wir dachten, das sind irgendwelche Spinner. Aber ich habe es im Sommer selbst erleben müssen, wie sie mit professionellen Kampagnen versuchen, Menschen zu diffamieren. Und sie haben bereits in der Wissenschaft, in den Medien und sogar auch in der Gedenkstättenarbeit Fuß gefasst, wo sie gerade mit einem Historikerstreit 2.0 versuchen, postkoloniale Verbrechen mit denen der Nazizeit gleichzusetzen, so wie sie Rassismus und Antisemitismus gleichsetzen. Wer das hätte sehen wollen, hätte es auch gesehen. Aber wir waren naiv, wollten es nicht ernst nehmen. Vielleicht auch, weil wir uns selbst ein bisschen schützen wollten.
Und was nun?
Es gibt nichts Gutes am 7. Oktober, nichts Gutes an dem, was gerade in Europa vor sich geht und auch nichts Gutes daran, was mit diesen zwei Jugendzentren passiert ist. Aber vielleicht war es notwendig, damit wir endlich sehen, wer unsere Partner sind und wer nicht. Es ist an der Zeit, bestimmte Sachen infrage zu stellen: wie wir unsere Präventionsarbeit betreiben, wie wir in unserer Prävention gegen Antisemitismus vorgehen. Wir müssen Standards für alle diese Einrichtungen einführen. Wir müssen besser werden. Was wir auf gar keinen Fall tun dürfen, ist, zum Alltag zurückzukehren!
Und was ist mit den Mädchen und jungen Frauen, für die die Zentren vielleicht wichtige Konstanten waren?
Man sollte ihnen nicht ihre Räume nehmen, sondern möglichst schnell eine andere pädagogische Leitung finden, die die Arbeit weiterführt. Aber Antisemiten können nicht in der pädagogischen Arbeit tätig sein, niemals. Das können und dürfen wir nicht finanzieren, wenn wir »Nie wieder« und unsere historische Verantwortung ernst nehmen.
Mit dem deutsch-israelischen Psychologen und Jugendarbeitsexperten sprach Sophie Albers Ben Chamo.