Berlin hat gewählt. Nach Fehlern, die es Anfang Dezember im ersten Durchgang der Wahlen zur Repräsentantenversammlung gab, hat die Wiederholung am Sonntag ein klares Ergebnis hervorgebracht. Gideon Joffes Wahlbündnis »Koach!« hat eine Zweidrittelmehrheit errungen. Die bisher führenden Gemeindevertreter und ihre Mitstreiter erzielten ausgesprochen schlechte Ergebnisse.
Das hat viele überrascht. Weniger überraschend ist ein anderes Ergebnis dieser Wahl: Verschiedene prominente Noch- und Nicht-mehr-Mitglieder der Gemeinde kündigen die Gründung einer eigenen Austrittsgemeinde an. Wie bereits nach vorausgegangenen Wahlen schießen auch diesmal wieder Spekulationen ins Kraut, wer mit wem, wann und wo eine eigene Synagoge baut, Kehille schafft oder Betergemeinschaften ins Leben ruft. Je nach religiöser Ausrichtung, Tradition und Herkunft. Man fühlt sich an Kurt Tucholskys Satire über einen Verein erinnert, der sich ständig spaltet, bis zum Schluss »der deutsche Idealzustand erreicht ist: Jeder seine eigene Partei.«
Wunsch Im Ernst: Volles Verständnis für die, denen das Wahlergebnis nicht passt. Nachvollziehbar, dass mancher den gewählten Kandidaten die dringend notwendige Sanierung der Gemeindefinanzen nicht zutraut. Zweifel am zukünftigen Kurs sind vielleicht berechtigt. Verständlich ist der Wunsch, über die Verwendung der zu zahlenden Gemeindesteuern ein Wörtchen mitzureden.
Doch Demokratie bedeutet eben auch Wechsel. Man kann nicht so oft wählen lassen, bis einem das Ergebnis passt. Noch sollte man sich verweigern, wenn einen das Wählervotum enttäuscht. So kann Gemeinschaft nicht funktionieren. Dann haben im konkreten Fall Kindergärten, Grund- und Oberschule, Jugendzentrum und viele andere Einrichtungen – damit die Einheitsgemeinde als solche – keine Zukunft. Das gilt auch für die Synagogen und den gesamten Kultusbereich, einschließlich der Friedhöfe.
Austrittsgemeinde? Wenn schon, denn schon! Man könnte über eine für Alteingesessene mit Berliner Wurzeln und eine andere für die polnischer Herkunft nachdenken, eine für Litauer und eine für Kasachen, eine für Vertreter des deutschen liberalen Judentums und eine für Konservative angelsächsischer Prägung, eine für Aschkenasen und eine für Sefarden. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Alles schon mal gehabt – so ähnlich zumindest. Aber das ist Vergangenheit. Und sollte es auch bleiben. Wirkliche Zukunft bietet nur die Einheitsgemeinde, eine Einheitsgemeinde in Berlin, Vielfalt unter einem Dach.