Gesellschaft

Mein Feind, der Jude

Brennender Hass: Auch hierzulande glauben viele Muslime an eine jüdisch-israelische Weltverschwörung gegen den Islam. Foto: Reuters

In der Nacht zum 2. Oktober 2000 werfen muslimische Jugendliche mehrere Brandsätze gegen die Synagoge in Düsseldorf. Eine gesellschaftspolitische Zäsur: Es ist das erste Mal, dass auf deutschem Boden eine antisemitische Straftat von jungen Menschen mit islamischer Religionszugehörigkeit verübt wird.

Die Öffentlichkeit zeigte sich überrascht. Judenfeindliche Einstellungen bei dieser Zuwanderergruppe hatte man bis dahin für ein unbedeutendes Randthema gehalten. Ein Trugschluss, wie sich rasch herausstellte. Inzwischen liegen zahlreiche alarmierende Berichte aus Schulen und Jugendeinrichtungen vor, die in drastischer Deutlichkeit zeigen, dass antisemitische Haltungen unter jungen Muslimen, aber auch anderen Einwanderungsgruppen, eine problematische Dimension erreicht haben.

Attacke Beschimpfungen mit judenfeindlichen Inhalten sind vielerorts gang und gäbe. Sogar handfeste Tätlichkeiten kommen immer wieder vor. Bundesweit für Schlagzeilen sorgte zum Beispiel vergangenes Jahr ein Vorfall in Hannover. Dort hatte eine Gruppe arabischer Kinder und Jugendlicher auf einem Straßenfest eine israelische Tanzgruppe mit Kieselsteinen attackiert und antijüdische Parolen skandiert.

Woher kommt dieser aggressive Antisemitismus? Die Politik- und Islamwissenschaftler verweisen in erster Linie auf neue Formen der Mediennutzung, die seit dem Jahr 2000 zu beobachten sind. Der kontinuierliche Ausbau des Satellitenfernsehens und des Internets führte dazu, dass zahlreiche arabisch- und türkischsprachige Programme in Europa mit preiswerten Empfangsanlagen auch in deutschen Wohnzim- mern konsumiert werden können.

Und Stationen wie etwa IQRA (Saudi-Arabien), Al-Manar (Libanon), SAHAR TV (Iran) oder TV 5 (Türkei) bieten den Zuschauern antisemitisch aufgeladene Formate an – ausgestrahlt zur besten Sendezeit. Traurige Berühmtheit erlangte in Europa die iranische Serienproduktion »Sahras blaue Augen«. In der siebenteiligen Reihe, die im Gazastreifen spielt, werden die Israelis als parasitäre beziehungsweise organraubende Verbrecher dargestellt, die Palästinenserkinder für finstere Zwecke missbrauchen.

Mär Derartige TV-Produktionen zeichnen sich durch eine wilde Mischung antisemitischer Topoi europäischer Couleur aus, die nicht selten mit Erzählungen aus dem Koran vermischt werden, die Mohammeds Konflikt mit den jüdischen Stämmen von Medina schildern. Im Kern steht die Mär von einer jüdischen (Welt-)Verschwörung, die den Islam, aber auch andere Gemeinschaften in ihrer Existenz bedrohe.

Verschärfend kommt der Nahostkonflikt hinzu, der in arabischen Medien geradezu allgegenwärtig ist. Selbst ein als seriös geltender Sender wie Al Dschasira lässt sich häufig zu einseitiger Berichterstattung hinreißen, die stets einen Alleinschuldigen zu benennen weiß: »die Israelis«.

Gerade diese unselige Verbindung von antisemitischem Trash und extrem emotionalisierter Berichterstattung sorgt dafür, dass der Antisemitismus besonders stark in Erscheinung tritt, wenn es im Nahen Osten wieder mal hoch hergeht. Zuletzt war es die blutige Erstürmung der Gaza-Hilfs-Flottille durch israelische Einheiten, die auch in deutschsprachigen Internetforen einen wahren juden- feindlichen Empörungssturm unter Muslimen auslöste.

Gegenstrategie Was ist zu tun? Dass Antisemitismus unter Muslimen ein nicht zu unterschät- zendes Problem darstellt, ist mittlerweile erkannt worden, selbst Islam-Verbände wollen sich ihm nach eigenem Bekunden endlich stellen. Von wirksamen Gegenstrategien kann allerdings bislang nicht die Rede sein. Wie auch? Das setzte eine seriöse sozialwissenschaftliche Forschung voraus, die sich mit dem Thema umfassend und eingehend befasst.

Dies ist aber nicht der Fall. Folglich bleiben wichtige Fragen weiter unbeantwortet. So wissen wir nicht, in welchem Ausmaß muslimische Jugendliche antisemitische Ansichten vertreten. Zudem ist unklar, ob deren Judenfeindschaft einem geschlossenen Weltbild entspringt oder eher ein vorübergehendes Phänomen darstellt. Befördern Integrationsbarrieren und Erfahrungen der Ausgrenzung die Entwicklung antisemitischer Haltungen?

Hier ist die Politik gefordert, endlich Abhilfe zu schaffen. Nur auf der Grundlage einer breiten Datenbasis können wirksame Präventionsmaßnahmen entwickelt werden. Wer glaubt, mit einigen Modellprojekten und Beschwichtigungsversuchen werde man des Antisemitismus schon Herr werden, befindet sich auf einem gefährlichen Holzweg. Wir haben es mit einem Problem zu tun, das vor allem ein umfassendes gesellschaftliches Engagement erfordert und simplen Aktionismus hinter sich lässt.

Der Autor ist Islamwissenschaftler und Autor des Buches »Antisemitismus in den islamischen Gesellschaften. Der Palästinakonflikt und der Transfer eines Feindbildes« (2002).

Berlin

Der falsche Konsens

Der israelische Militärhistoriker Danny Orbach stellt im Bundestag eine Studie und aktuelle Erkenntnisse zum angeblichen Genozid im Gazastreifen vor – und beklagt eine einseitige Positionierung von UN-Organisationen, Wissenschaft und Medien

 27.11.2025

USA

Staatsanwaltschaft rollt den Fall Etan Patz neu auf

Der jüdische Junge Etan Patz verschwindet am 25. Mai 1979 auf dem Weg zur Schule. Jahre später wird er für tot erklärt

 27.11.2025

Debatte

Neue Leitlinie zum Umgang mit NS-Raubgut für Museen und Bibliotheken

In Ausstellungshäusern, Archiven und Bibliotheken, aber auch in deutschen Haushalten finden sich unzählige im Nationalsozialismus entzogene Kulturgüter. Eine neue Handreichung soll beim Umgang damit helfen

von Anne Mertens  27.11.2025

Düsseldorf

Breite Mehrheit im Landtag wirbt für Holocaust-Zentrum in NRW

Große Mehrheit im NRW-Landtag: Fast alle Fraktionen werben für NRW als Standort eines vom Bund geplanten Holocaust-Bildungszentrums. Bayern und Sachsen sind ebenfalls im Rennen

von Andreas Otto  27.11.2025

Terrorismus

Berlin: Waffenkurier der Hamas wohnte in unmittelbarer Nähe zu mehreren jüdischen Einrichtungen

Im Auftrag der Terrororganisation Hamas sollen mehrere Männer jüdische und proisraelische Ziele unter anderem in der Hauptstadt ausgespäht und Waffen eingeschmuggelt haben. Nun berichten »Zeit« und »Welt« über die Hintergründe

 27.11.2025

Bildung

Im Land der Täter

Bis März soll die Entscheidung fallen, wo die Dependance der Schoa-Gedenkstätte Yad Vashem in Deutschland angesiedelt wird

von Michael Thaidigsmann  27.11.2025

München

Uschi Glas: Christen müssen jüdische Mitbürger schützen

Uschi Glas mahnt Christen zum Schutz von Juden. Sie warnt vor neuer Ausgrenzung und erinnert an eigene Erfahrungen nach dem Krieg. Was sie besonders bewegt und warum sie sich Charlotte Knobloch verbunden fühlt

von Hannah Krewer  27.11.2025

Entscheidung

Uni Jena lehnt Prüfung von Kontakten mit israelischen Hochschulen ab

Die Friedrich-Schiller-Universität Jena wird Kooperationen mit israelischen Hochschulen nicht auf mögliche Verbindungen zum Militär überprüfen. Der Senat lehnte einen entsprechenden Antrag von Teilen der Professorenschaft ab

 27.11.2025

Berlin

Prozess um Angriff am Holocaust-Mahnmal: »Tat zugegeben«

Polizisten berichten von der Begegnung mit dem Angeklagten wenige Stunden nach der Tat

 27.11.2025