Bei einer vom Bundesbildungsministerium organisierten Tagung in Berlin hat Josef Schuster die Bedeutung der Forschung beim Kampf gegen Judenhass hervorgehoben. »Erst durch evidenzbasierte Forschung wird der Kampf gegen Antisemitismus wirksam«, sagte der Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland. Sie behandle antisemitische Vorfälle nicht als Einzelfälle, »sondern als Ausdruck tief verankerter Strukturen, die es zu verändern gilt.«
Schuster erklärte, es müsse ein struktureller Wandel auch im Denken stattfinden. »Bis heute unterschätzt die nicht-jüdische Mehrheitsgesellschaft die Verbreitung und die Bedrohlichkeit des Antisemitismus - und steht damit in erheblicher Diskrepanz zur
Betroffenenperspektive jüdischer Menschen in Deutschland.«
Dies zeige sich oft in der Verschiebung öffentlicher Debatten, etwa »wenn darüber diskutiert wird, ob etwas überhaupt Antisemitismus ist, anstatt die antisemitischen Aussagen oder Handlungen selbst zu thematisieren«, so Schuster. »Plötzlich sind nicht die Gefährdungen, sondern jene, die sie aufzeigen, diejenigen, die allgemeine Unruhe provozieren.«
Hohe Bedeutung Im Rahmen der Tagung mit dem Titel »Der wissenschaftliche Beitrag zur Bekämpfung des Antisemitismus« sollte auch eine Zwischenbilanz des »Forschungsnetzwerkes Antisemitismus im 21. Jahrhundert« gezogen werden, das laut Schuster »gerade in Zeiten wieder erstarkenden Antisemitismus von besonders hoher Bedeutung« ist. Zehn von der Bundesregierung geförderte Verbundprojekte sind Teil des Vorhabens.
Neben Josef Schuster nahmen auch die Gastgeberin, Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP), und der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, an der Tagung teil.
Schuster lobte die Verbundprojekte: »Sie ziehen Antisemitismusprävention in den Verantwortungsbereich der Justiz, der Polizei und der Bildungsarbeit. Sie formulieren Handlungsempfehlungen, schließen Wissenslücken und stärken die Antisemitismuskompetenz der Gestaltungsakteure unserer freiheitlichen Demokratie.« Als Musterbeispiele nannte er die von mehreren deutschen Universitäten durchgeführten Projekte »Empowering Police Officers and Teachers in Arguing Against Antisemitism« und »Antisemitismus als justizielle Herausforderung«. Beide lenkten den Blick darauf, wie Antisemitismus selbstkritisch in den eigenen Strukturen und der eigenen Arbeitsweise bekämpft werden könne, erklärte Josef Schuster.
»Diese engmaschige Zusammenarbeit zwischen Forschenden und der Zivilgesellschaft kann einem Phänomen entgegenwirken, das sich in trauriger Weise oft einstellt, wenn in Krisenzeiten Expertenwissen kritisch beäugt wird«, sagte der Zentralratspräsident. Die Deutungshoheit der Wissenschaft könne bei der Zivilgesellschaft zu Skepsis und Verunsicherung führen, »wenn es nicht gelingt, Forschungsprozesse und Ergebnisse nachvollziehbar zu vermitteln. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler werden so schnell zur Zielscheibe von negativen Gefühlsprojektionen. Wenn ein Forschungsprojekt sich zudem Antisemitismusprävention auf die Fahne schreibt, sind Ressentiments quasi schon vorprogrammiert.«
Empanzipatorisches Potenzial Schuster begrüßte die Förderpolitik des Bildungsministeriums. Antisemitismusprävention habe »ein enormes emanzipatorisches Potenzial«, so der Zentralratspräsident. »Wer Antisemitismuskompetenz fördert, fördert die nachhaltige Verankerung einer Wertehaltung, die dazu befähigt, menschenfeindlichen, radikalen Positionen und Verhaltensweisen entschlossen entgegenzuwirken.«
Einige der geförderten Verbundprojekte zeigten, wie wichtig und konstruktiv die Einbeziehung jüdischer Erfahrungswelten bei der
Bearbeitung antisemitischer Vorfälle sei, sagte Schuster. »Die jüdische Perspektive beim Thema Antisemitismus wurde viel zu lange vernachlässigt und wird immer noch zu oft bagatellisiert.
Bei der Tagung in der Berliner Urania, die am heutigen Tag des Grundgesetzes stattfand, erklärte Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger, die Verfassung ziehe die Lehre aus »dem schrecklichsten Verbrechen unserer Geschichte«. Der Schutz der Menschenrechte stehe ganz am Anfang des Grundgesetzes, in Artikel 1.
»Der Kampf gegen den Antisemitismus folgt daraus«, sagte die Ministerin. Er sei »auch ein Auftrag an das Ministerium, auch an mich, sowie an jede Bürgerin und jeden Bürger.«
Fassungslos »Ja, wir sind vorangekommen, aber Antisemitismus gibt es immer noch – und das ist besorgniserregend«, sagte Bettina Stark-Watzinger. »Besonders fassungslos macht der kürzlich ausgesandte Hilferuf von Lehrern einer Schule im Spree-Neiße-Kreis.« Der Fall zeige, dass die Bedrohung von Rechts vorhanden sei: »Sie ist akut und sie betrifft auch Jüdinnen und Juden.«
Es gehe nicht nur um Brandenburg, so die Bildungsministerin: »In Hessen, wo ich herkomme, war die documenta vom letzten Jahr ein klarer Fall des Antisemitismus.« Auch die Statistiken des Bundeskriminalamtes zeigten, dass es keinen Grund zur Entwarnung gebe. »Meinen Respekt all denen, die hinschauen, die aussprechen was ist und die eingreifen. An den Antisemitismus dürfen wir uns niemals gewöhnen.«
Der Kampf gegen Judenhass wird laut Bettina Stark-Watzinger nachhaltiger, wenn er auf Wissen basiert. Die Wissenschaft sei daher ein unabdingbarer Partner im Kampf gegen Antisemitismus. Ihr Ministerium fördere im Rahmen zehn Forschungsverbünde im Rahmen des Forschungsnetzwerkes mit zwölf Millionen Euro.
»Wesentlicher Wissenszuwachs« Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, sagte, es handle sich um gut angelegtes Geld. »Ein Großteil meiner Arbeit besteht darin, Vorurteile abzubauen. Wissen und Bildung sind hier von großer Bedeutung«, so Klein.
Er erwähnte seine im November 2022 von der Bundesregierung beschlossene Nationale Strategie gegen Antisemitismus (NASAS) und erklärte, durch die vom Bildungsministerium geförderten Projekte werde es einen »wesentlichen Wissenszuwachs« geben. »Ich würde es sehr begrüßen, wenn das Projekt auch über 2025 hinweg fortgesetzt wird«, so Klein.
Klein sieht einen Nachholbedarf bei der Sensibilität für Antijudaismus in Schulbüchern. Hier liege noch einiges im Argen. Er nannte ein Beispiel aus einem Religions-Schulbuch im Jahr 2008, in dem das jüdische Leben von Jungen und Mädchen in stereotypen Rollen beschrieben wurde.
»Ich möchte betonen: Hier wird das Leben in Israel nach dem Jahr 2000 beschrieben, nicht das von vor 2000 Jahren«, sagte Klein. Gemeinsam mit Projektpartnern wie dem Braunschweiger Georg-Eckert-Institut für Schulbuchforschung werde die Grundlage gelegt, »dass etwa solche Ausführungen nicht mehr zu lesen sind. Und natürlich noch viel mehr«, so Klein.
Bis Dienstagnachmittag sollten bei der Tagung Einzelprojekte vorgestellt werden. Im Rahmen einer Roundtable-Diskussion wollten die Teilnehmer das Thema »Strategien gegen Antisemitismus – Forschung im Dialog« diskutieren.
Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (Die Linke) und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), die Antisemitismusbeauftragte des Landes Nordrhein-Westfalen, gehörten ebenfalls zu den Teilnehmern.