Er soll einer der Schwerpunkte der EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands werden: der Kampf gegen Antisemitismus. Hierzulande erreichte 2019 die Zahl judenfeindlicher Delikte ein Rekordniveau mit rund 2000 erfassten Straftaten. Mehr als 90 Prozent hatten einen rechtsextremistischen Hintergrund. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) verbot kürzlich die rechtsextremistische Vereinigung »Nordadler« mit einer stark ausgeprägten antisemitischen Haltung.
In zahlreichen EU-Staaten sind Juden in Sorge. Der Präsident der Europäischen Rabbinerkonferenz, Pinchas Goldschmidt, hatte im vergangenen Jahr die Lage der Juden in Europa als »turbulent« und Frankreich als das »heißeste Pflaster« bezeichnet. Derweil schießen in der Corona-Pandemie Hetze und Verschwörungsmythen ins Kraut.
erwartungen In dieser Situation übernimmt Deutschland am 1. Juli für ein halbes Jahr die EU-Ratspräsidentschaft. »Antisemitismus und dessen Bekämpfung spielen in Deutschland eine wichtige und im Vergleich zu anderen Staaten eine besondere Rolle«, betont denn auch Felix Klein, Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus. Entsprechend hoch seien die Erwartungen in der EU sowie bei jüdischen Organisationen.
»Ich glaube, dass es für die EU sehr wichtig ist, wenn Deutschland mit dem Thema vorangeht«, betont die EU-Antisemitismusbeauftragte Katharina von Schnurbein.
Klein verweist auf eine Erklärung des EU-Rates von 2018. Darin geht es um die Bekämpfung von Antisemitismus und die Entwicklung eines gemeinsamen Sicherheitskonzepts für einen besseren Schutz jüdischer Einrichtungen und Gemeinschaften in Europa. »Wir wollen für die Umsetzung der dort eingegangenen Verpflichtungen durch die EU und ihre Mitgliedstaaten sorgen«, betont Klein.
Im September steht die Konferenz »Gemeinsam gegen Antisemitismus in Europa – Strukturen und Strategien für eine ganzheitliche Bekämpfung« an. Damit soll eine Vernetzung auf EU-Ebene vorangetrieben werden, denn: »Antisemitismusbekämpfung ist in den EU-Mitgliedstaaten bei unterschiedlichen Ministerien sowie auf europäischer Ebene an verschiedenen Stellen angesiedelt«, erklärt Klein.
gipfeltreffen Ziel sei es, »dass die Staats- und Regierungschefs bei ihrem Gipfeltreffen im Dezember den Kampf gegen Antisemitismus als Querschnittsthema verankern, das bei allen Entscheidungen der EU-Institutionen stets berücksichtigt werden muss«.
Parallel zur EU-Ratspräsidentschaft hat Deutschland seit Anfang März auch den Vorsitz der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) inne. Bis März 2021 will Deutschland vor allem Maßnahmen gegen die Relativierung und Verfälschung des Holocaust voranbringen, wie die Leiterin der deutschen IHRA-Delegation, Botschafterin Michaela Küchler, im Februar erklärte. Auch will die IHRA dafür werben, dass die von ihr entwickelten Arbeitsdefinitionen zu Holocaustleugnung und -verfälschung sowie zu Antisemitismus bekannter werden.
Bisher hätten 17 EU-Staaten die IHRA-Antisemitismus-Definition angenommen, sagt die EU-Antisemitismusbeauftragte Katharina von Schnurbein. Die Definition ist zwar nicht bindend – aus Sicht der Beauftragten aber hilfreich etwa für Ermittler oder Lehrer, Delikte und Beleidigungen als antisemitisch zu erkennen. Im nächsten halben Jahr sei gemeinsam mit der IHRA ein Papier geplant, das die Anwendung der Definition unterstreiche.
verantwortung Mit Blick auf die deutsche EU-Ratspräsidentschaft betont von Schnurbein: »Ich glaube, dass es für die EU als Ganzes sehr wichtig ist, wenn Deutschland mit dem Thema vorangeht.« Die EU werde dabei unterstützend tätig sein. Dass Deutschland Verantwortung im Kampf gegen Antisemitismus wahrnehme, sei »mehr als symbolisch«. Daher erwarte sie auf diesem Feld auch einen Schub – etwa im Zusammenhang mit der Umsetzung der EU-Ratserklärung von 2018, nach der sich die Staaten verpflichtet haben, nationale Strategien gegen Antisemitismus und für den Schutz jüdischen Lebens zu entwickeln.
Um Aktivitäten besser zu koordinieren, wären in den EU-Staaten auch Antisemitismusbeauftragte wünschenswert, so von Schnurbein. In den vergangenen Jahren sei auf Ebene der EU und einzelner Staaten viel passiert – aber häufig habe sich für das tägliche Leben von Juden dennoch nicht viel verändert. Umfragen hätten ergeben, dass vier von zehn Juden sagten, dass sie im vergangenen Jahr darüber nachgedacht hätten, ihr jeweiliges Land in Europa zu verlassen. »Und das war nie gut für Europa in der Vergangenheit.«