Diskussion

Mehr als eine Lebensversicherung

Bini Guttmann, Malca Goldstein-Wolf, Nathan Gelbart, Alon Meyer, Johannes Becke (v.l.) Foto: Marco Limberg

Welche Rolle spielt Israel im Leben von Juden in Deutschland, fragte Moderator Nathan Gelbart die Teilnehmer des Podiums »›Wir sind Israel!‹ ›Sind wir Israel?‹ Was bedeutet Israel und Zionismus für uns heute?« Die Kölner Aktivistin Malca Goldstein-Wolf bekannte: »Ich selbst fühle mich eigentlich ganz deutsch. Wenn ich in Israel bin, stelle ich mich in der Eisdiele an, sodass man schon Mitleid mit mir bekommt. Es ist eine andere Kultur, aber es ist mein Land, das ist unsere Lebensversicherung.« Angesichts gestiegener antisemitischer Bedrohung fragte sie: »Bleibt uns eigentlich eine andere Wahl, als Zionist zu sein?«

GEWALT Über die gewachsene Angst deutscher Juden sprach auch Johannes Becke, Inhaber der Ben-Gurion-Stiftungsprofessur für Israel- und Nahoststudien an der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg. Selbst evangelisch, aber mit einer Jüdin verheiratet, führte er aus: »Den Nahostkonflikt haben wir ein Stück weit importiert. Wenn wir uns Umfragen zu Auffassungen über Judentum und Israel ansehen, wissen wir, es gibt in der gesamten deutschen Bevölkerung ein antisemitisches Grundrauschen zwischen fünf und 20 Prozent. Aber das äußert sich in den meisten Fällen als Ressentiment und nur in wenigen Fällen, wie beim Anschlag in Halle, in neonazistischer Gewalt. Die meisten Fälle von Gewalt gehen von Muslimen mit arabischem Hintergrund aus.«

Schulen vermitteln die Themen Israel und Zionismus nur unzureichend.

Dialogformate für Juden und Muslime erreichten in der Regel nur diejenigen, »die ohnehin guten Willens sind«, meinte Becke. Ansetzen müsse man schon im Bildungssystem, doch sei das Wissen über Judentum und Israel bei Lehrern wie Schülern sehr gering. Hinzu komme noch: »Die Lehrer haben einfach Angst, das Thema zu behandeln, weil sie genau wissen, wer dann kritisch reagiert.« Dennoch seien Schulen »der einzige Bereich, wo man langfristig irgendwas verändern kann«.

Bini Guttmann aus Österreich, Präsident der European Union of Jewish Students (EUJS), riet dazu, sich nicht ausschließlich über äußere Bedrohung zu definieren: »Ich bin Zionist, egal ob es Antisemitismus gibt oder nicht. Wenn wir Zionismus nur über Antisemitismus definieren, geht ganz viel verloren.« Gleichzeitig forderte er, dass der zeitgenössische Diaspora-Zionismus inklusiver werden und auch die Traditionen des linken Zionismus wieder aufnehmen müsse, weil sich viele junge Leute sonst herausgedrängt fühlten. Das aber sei eine fatale Entwicklung, denn: »Israel braucht auch uns in der Diaspora.«

BEZIEHUNG Makkabi-Deutschland-Chef Alon Meyer berichtete von verstärkten Übergriffen auf jüdische Sportler in seinem Verein: »Ohne das ich sagen will, dass diejenigen, die uns angreifen, die Flüchtlinge sind, gibt es eine zeitliche Korrelation mit der Flüchtlingswelle, dass Übergriffe wieder verstärkt vorgefallen sind.« Vor zehn bis 15 Jahren hätte man das sich in diesem Ausmaß nicht vorstellen können. Dennoch verwehrte er sich dagegen, Muslime pauschal als Antisemiten abzustempeln. Das gelte auch, wie er in der anschließenden Diskussion mit dem Publikum klarmachte, auch für manche Wähler der AfD, die keine Antisemiten seien und die man versuchen sollte, davon zu überzeugen, dass sie die falsche Partei wählen.

Führte die Debatte über weite Strecken vom angekündigten Thema Israel und Zionismus weg und drehte sich mehr um antisemitische Gefahren in Deutschland, machten sich am Ende noch einmal alle Teilnehmer für eine verbesserte Beziehung zwischen Israel und der Diaspora stark. Und Bini Guttmann bekräftigte: »Israel sollte mehr sein als eine Lebensversicherung für Juden.«

Anschlag von Magdeburg

»Radikalisierung mit Extremismusbezügen nach rechts«

Thüringer Verfassungsschutzpräsident Stephan Kramer verortet Tatverdächtigen im rechtsextremen Spektrum

 24.12.2024

Berlin-Schöneberg

Chanukka-Leuchter umgestoßen

Polizei: Zwei Arme der Chanukkia am Bayerischen Platz beschädigt – der Staatsschutz ermittelt

 24.12.2024

Taleb A.

Was über den Attentäter von Magdeburg bekannt ist

Er galt den Behörden nicht als Islamist, präsentierte sich als scharfer Islamkritiker, kämpfte für Frauenrechte und arbeitete als Arzt. Aber es gab auch eine andere Seite

 23.12.2024

Polen

Staatssekretär: »Würden Netanjahu bei Teilnahme an Auschwitz-Gedenkfeier verhaften«

Eine Auschwitz-Überlebende bringt wegen der polnischen Haltung einen Boykott der Gedenkfeier ins Spiel

 23.12.2024

Umfrage

Vertrauen in den Zentralrat der Juden vergleichsweise hoch

Laut einer Forsa-Umfrage ist das Vertrauen in den Zentralrat der Juden in Deutschland in der Gesellschaft höher als das in die Kirchen

 23.12.2024

Extremismus

Terrorexperte Peter Neumann fordert neue Täter-Kategorie

Nach dem Anschlag von Magdeburg: In Deutschland werde über Terroristen in allzu starren Kategorien gedacht

 23.12.2024

Gastkommentar

Antisemitismus: Lücken im Strafrecht schließen!

Im Kampf gegen Judenhass darf es nicht bei rechtlich unverbindlichen Appellen bleiben

von Volker Beck  23.12.2024

Brandenburg

Bürgermeister Arne Raue: Wechsel zur AfD vollzogen

Damit gibt es einen weiteren hauptamtlichen Bürgermeister der Rechtsaußen-Partei in Deutschland

 23.12.2024

Orthodoxe Rabbinerkonferenz

Rabbiner warnen nach Magdeburger Anschlag vor Hass und Spaltung

Die orthodoxen Rabbiner in Deutschland drücken ihre Anteilnahme nach dem tödlichen Angriff auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt aus

 23.12.2024