Meinung

Megaphon des Hasses

Kanye West Foto: picture alliance / empics

Kanye West alias Ye tweetet wieder. Nach einer zeitweiligen Sperrung wegen seiner antisemitischen Aussagen setzte der Musiker zunächst einen Test-Tweet ab, bevor er im zweiten Beitrag ein einziges Wort veröffentlichte, nämlich »Shalom«. Diesem fügte er einen Smiley hinzu.

Was will uns der Autor damit sagen? Dass er Juden plötzlich nicht mehr hasst? Dass alles nicht so gemeint war? Oder ist die Eingabe der Aufschlag zu einer weiteren Hasstirade?

Sofort wurde Elon Musk gefragt, weshalb er Ye wieder erlaubt habe, zu tweeten. Die Antwort: Dies sei nicht seine Entscheidung gewesen, sondern die der ehemaligen Twitter-Manager. Dennoch hinterlassen die jüngsten Entwicklungen auf dieser Social Media-Plattform zumindest einen bitteren Beigeschmack.

Privat kontrollierte Medien

Was entsteht auf Twitter, nachdem mit Donald Trump ein weiterer prominenter Hasser wieder Lügen verbreiten darf? Braut sich hier eine Allianz der Verschwörungstheoretiker und des Hasses zusammen, gegen Demokratie und gegen Juden? Ermutigt die Rückkehr von Ye und Trump möglicherweise andere Hasser, ebenfalls Judenhass und andere Arten der Menschenfeindlichkeit zu verbreiten während sie auch noch die ohnehin schon gefährdete Demokratie in den USA angreifen? Wie würde sich eine Verwandlung zu einer Plattform des Hasses auf Amerika, Europa und den Rest der Welt auswirken? Hier wird die Gefahr sichtbar, die durch privat kontrollierte Medien und soziale Medien entstehen kann. Wer garantiert, dass überall Realisten und Demokraten das Ruder bedienen? Niemand.

Im Mittelpunkt der jüngsten Entwicklung steht im Moment Ye, ehemals Kanye West, der bereits seit Jahren für Entgleisungen bekannt ist. Alarmierend ist sein plötzlicher Judenhass dennoch. Die Tatsache, dass hier offensichtlich Unkenntnis und Verwirrung mitspielen, macht die antisemitischen Aussagen nicht besser.

Noch verstörender wird das Ganze, wenn wir miteinbeziehen, dass hier ein Vertreter einer Minderheit eine andere Minderheit hasst. Die Tatsache, dass sowohl Schwarze als auch Juden verfolgt wurden und zum Teil noch werden, hat diese Bevölkerungsgruppen zum Teil verbunden. Ein schwarzer Judenhasser müsste ein Widerspruch in sich sein. Ist er in den meisten Fällen auch. Wenn diese Ausnahme aber so prominent ist wie Ye, muss mit Multiplikatoren gerechnet werden, die entweder bereits zuvor Judenhasser waren oder die sozusagen einsteigen, weil sie den Künstler und dessen Musik so bewundern. Dies gilt im Fall Roger Waters oder eben bei Kanye West/Ye.

Kritische Reaktionen

Die getweeteten Reaktion auf Yes »Shalom :)«-Tweet sind zwar ebenso wenig repräsentativ wie eine Twitter-Abstimmung über das Schicksal des Twitter-Autoren Donald Trump, aber zum Teil interessant. Der Trittbrettfahrer-Effekt kann bereits beobachtet werden. Ein Kommentator meinte, Rabbiner würden zugeben, dass Juden alles kontrollierten, inklusive der Medien, Banken und Lebensmittelgeschäfte. Diese Verschwörungstheorie mag einen langen Bart haben, aber zu viele Leute glauben sie auch heute noch, oder verbreiten sie aus purem Hass und wider besseren Wissen weiter.

Zum Glück gibt es aber offenbar mehr kritische Reaktionen auf den Tweet. Diese reichen von einem Bild einer Frau am Strand, die ein Handtuch mit einem blauen Davidstern trägt und beide Mittelfinger in die Kamera reckt bis hin zu der Bitte, der Autor möge »uns doch bitte in Ruhe lassen.«

Ein anderer User hat eine noch bessere Idee: »Let’s play hide and seek. I hide and you seek professional help.« Auf Deutsch funktioniert dieser Spruch nicht besonders gut: »Lass uns Verstecken und Suchen spielen. Ich verstecke mich und du suchst eine Therapie.«

Auch wird Ye eingeladen, Israel kennenzulernen, mit dem Hinweis, er werde von dem Land begeistert sein. Entsetzen und Frustration wird auch gezeigt: Ein User schreibt, er sei seit 2006 ein treuer Twitter-Nutzer gewesen. Noch »heute Abend« werde er aber sein Konto deaktivieren.

Ohne Konsequenzen

Für Remko Leemhuis, Direktor des American Jewish Committee Berlin, ist der Fall klar: »Nachdem Ye wochenlang seine enorme Reichweite benutzt hat, um antisemitischen Ideen und Ressentiments zu verbreiten und dann gesperrt wurde, kann dieser Tweet nur als höhnisch verstanden werden. Es ist kaum anzunehmen, dass er in der Zeit seiner Sperre seine antisemitischen Einstellungen abgelegt hat«, so Leemhuis. »Es ist daher zu befürchten, dass er seine Plattform auch in Zukunft zur Verbreitung von Antisemitismus nutzen wird, ohne dass es Konsequenzen hat.«

Die verstörende Kanye West/Ye-Geschichte begann im Jahr 2015, als er seine Präsidentschaftskandidatur für 2020 ankündigte. Später solidarisierte er sich mit Donald Trump, den er ab und an in Tweets lobte, während er Barack Obama kritisierte.

Dann verstörte er nicht nur viele Schwarze in Amerika, indem er implizierte, ihre Vorfahren hätten sich freiwillig in die Sklaverei begeben. Schon vor den antisemitischen Ausfällen war also eine höchst problematische Tendenz erkennbar. Noch am 5. Juli 2020 tweetete Ye, er werde für das Oval Office kandidieren, was jedoch offensichtlich nicht passierte.

Megaphon der Neuzeit

Dann kamen die antisemitischen Ausfälle, die ihn zig Millionen kosteten, da seine Werbepartner absprangen, wenn auch spät. Kanye West meinte vor seiner Namensänderung, er werden dem jüdischen Volk schon zeigen, dass es ihn nicht beeinflussen werde und erklärte ihm den Krieg (»I told you this is war«).

Antisemitisch könne er ja gar nicht sein, so Ye, denn die Schwarzen seien die eigentlichen Juden. Dies ist nur eine der Aussagen, die seine verbleibenden Bewunderer konsumiert haben und in Tweets wieder ausscheiden, solange dies auf Twitter gestattet ist und letztendlich gefördert wird. Entsprechenden Charakteren wird dieses laute Megaphon der Neuzeit überlassen.

Antisemitismus

Polizei sucht nach Tatverdächtigem vom Holocaust-Mahnmal

Der Mann soll einen volksverhetzenden Text in das dortige Gästebuch geschrieben haben

 22.11.2024

Debatte

Theologen werfen Papst einseitige Sicht auf Nahost-Konflikt vor

Ein Schreiben von Papst Franziskus zum Nahost-Krieg enthalte einen »blinden Fleck im Denken«

 22.11.2024

Debatte

CDU-Ministerpräsident verurteilt Haftbefehl gegen Netanjahu

»Völlig ausgeschlossen, dass ein demokratisch gewählter Ministerpräsident aus Israel auf deutschem Boden verhaftet wird, weil er sein Land gegen Terroristen verteidigt«

 22.11.2024

CDU/CSU

Unionspolitiker: Verhaftung von Netanjahu auf deutschem Boden »unvorstellbar«

Die größte Oppositionsfraktion kritisiert die fehlende Haltung der Bundesregierung

 22.11.2024

Den Haag

Der Bankrott des Internationalen Strafgerichtshofs

Dem ICC und Chefankläger Karim Khan sind im politischen und juristischen Kampf gegen Israel jedes Mittel recht - selbst wenn es unrecht ist. Ein Kommentar

von Daniel Neumann  22.11.2024

Internationaler Strafgerichtshof

»Halten uns an Recht und Gesetz«: Jetzt äußert sich die Bundesregierung

Außenministerin Annalena Baerbock will aber noch genauer prüfen, was der Entscheid des IStGH bedeutet

 22.11.2024

Budapest

Orbán: »Werde Netanjahu nach Ungarn einladen«

Regierungschef Viktor Orbán will seinen israelischen Amtskollegen trotz des Haftbefehls des Internationalen Strafgerichtshofes weiter empfangen

 22.11.2024

Atomprogramm

Iran kündigt Ausbau der Urananreicherung an

Der Atomstreit mit dem Iran geht in eine neue Runde

 22.11.2024

Kriminalität

»Schwachkopf«-Post zu Habeck: Jetzt melden sich die Ermittler zu Wort

Ein Mann soll Wirtschaftsminister Habeck im Netz beleidigt haben. Dass dann die Polizei zu Besuch kam, sorgte nicht nur im Umfeld des Vizekanzlers für Verwunderung. Die Ermittler liefern Erklärungen

von Frederick Mersi  21.11.2024