Eines Abends beschloss ein Ehemann, seiner Frau entgegenzugehen, die jeden Augenblick von der Arbeit nach Hause kommen musste. Er ging Richtung U-Bahn-Station. Es war schon dunkel. Dann sah er sie und ging fröhlich auf sie zu, in der Erwartung, dass sie ihn auch gleich erkennen werde. Doch das tat sie nicht. Sie lief einfach an ihm vorbei, den Blick stur geradeaus. Wie ein Geist, sagte der Ehemann schockiert. Im Abwehrmodus, entgegnete seine Frau trocken.
abwehr Es ist tragisch, wie viele Männer sich noch immer über Frauen im Abwehrmodus wundern. Jede Frau kennt ihn, und jede Frau muss ihn mehr oder weniger regelmäßig einsetzen. Denn keine – egal ob in Los Angeles, Berlin oder Hildesheim – kommt in ihrem Leben an sexuellen Angriffen vorbei. Keine. Das Wissen darum läuft immer mit.
Der Fall Harvey Weinstein bestätigt nur, was Frauen und Mädchen schon wissen. Jeder Versuch, Weinstein zum Einzelfall zu stilisieren, ist ein Ablenkungsmanöver. Er ist einer von vielen, der bestraft gehört wie alle anderen auch. Aber auch das wissen wir eigentlich längst.
Die heftige Diskussion um die jahrzehntelang geduldeten Taten des Filmmoguls, befeuert von immer neuen Aussagen und weiteren Fällen im Filmgeschäft, ist eine Wiederauflage der »Aufschrei«-Debatte von vor mehr als vier Jahren.
Hashtag Damals war ein Artikel über den Sexismus der alten Männer im Politikbetrieb der Auslöser für eine überfällige Auseinandersetzung mit der Allgegenwärtigkeit sexueller Übergriffe auf Mädchen und Frauen. Der Hashtag Aufschrei gellte in jeder Zeitung, jeder Talkshow, jedem Newsfeed. Nach Weinstein gibt es nun einen neuen Hashtag, der Hashtag MeToo heißt, »ich auch«.
Und wieder ist da diese Hoffnung, dass Frauen den Abwehrmodus eines Tages ablegen könnten. Liest man allerdings die frauenfeindlichen Kommentare, die sich wie bei allen Frauenthemen auch unter vielen »Me Too«-Postings finden, sind die Aussichten mehr als schlecht.
Die Autorin ist Filmjournalistin in Berlin.