Herr Roth, im Zusammenhang mit der Ukraine haben Sie einmal gesagt, Ihre Partei sei in Fragen von Krieg und Frieden völlig unsortiert. Trifft das auch auf Israels Krieg gegen den Terror zu?
Nach dem 7. Oktober, dem Massaker der Hamas an unschuldigen Israelis, war ich sehr erleichtert, dass die Sympathisantinnen und Sympathisanten meiner Partei in großer Zahl die deutliche, auch militärische Reaktion der israelischen Seite unterstützt haben. Laut Umfragen war den meisten klar, dass Israel auf solch verheerende Terrorattacken nicht nur politisch und diplomatisch antworten kann. Aber selbstverständlich ist die SPD auch in dieser Frage ein Spiegelbild der deutschen Gesellschaft.
Inwiefern?
Die SPD steht stabil an der Seite Israels. Aber auch in meiner Partei gibt es angesichts des Leids der Palästinenserinnen und Palästinenser und der furchtbaren Bilder aus Gaza kritische Stimmen. Es findet ja auch ein Krieg der Bilder statt. Und so bitter das ist: Diesen hat Israel offenkundig verloren. Und das führt bei Menschen, die keine enge emotionale Bindung zu Israel oder dem jüdischen Leben haben, zu einem verzerrten Blick. Ich mache mir aber viel weniger Sorgen um die Haltung der SPD als um die allgemeine Stimmung in Deutschland. Wir müssen laut und deutlich für das Existenzrecht Israels werben und deutlich machen: Israel hat das Recht, sich gegen die Hamas zu verteidigen und diese Terrororganisation zu eliminieren.
Ist es nicht eine gewisse Scheinheiligkeit, wenn einerseits das Recht auf Selbstverteidigung betont und andererseits das militärische Vorgehen ständig kritisiert wird?
Solchen Diskussionen muss man sich stellen. Und wenn man gute Argumente hat, dann muss man diese Debatten auch nicht fürchten. Ich stelle mich diesen Fragen, dieser Kritik tagtäglich und habe durch meine klare Haltung zu Israel auch viele überwiegend digitale »Freundinnen und Freunde« verloren. Ich habe noch nie so viel Hass und Aggression erlebt, und damit stehe ich ja nicht allein. Mir geht es darum, dass unser Bekenntnis zum Staat Israel in Freiheit und Sicherheit nicht zu einem leeren Versprechen wird.
In Ihrer Fraktion ist zu hören, dass man nicht zulassen dürfe, dass die israelische Regierung permanent gegen humanitäre Grundsätze verstoße. Was meinen Sie?
Ich finde es schwierig, Israel permanent und lauter als andere zu ermahnen, das Völkerrecht einzuhalten. Das ist inzwischen auch in etablierten Kreisen zu einer Art Mantra geworden. Es verfestigt sich zunehmend eine Äquidistanz in diesem Krieg. Als Freund Israels muss man immer erst einmal erklären, wo man der israelischen Regierung nicht folgt. Es gibt so eine Art Bekenntniszwang, das kenne ich sonst bei keinem anderen Land. Es gibt ein tief sitzendes Misstrauen gegenüber Israel. Da sind die Maßstäbe komplett verrutscht.
Welche Maßstäbe sind das?
Es gibt für eine wachsende Zahl von Menschen keinen unmittelbaren Zusammenhang mehr zwischen dem Hamas-Terror, dem Massaker vom 7. Oktober und dem Krieg, der derzeit in Gaza stattfindet. Es gibt einen völlig losgelösten Blick auf das Leid der Palästinenserinnen und Palästinenser, die per se und ausschließlich Opfer sind. Damit wird eine komplette Täter-Opfer-Umkehr erzeugt. Es wird nicht mehr unterschieden zwischen einer Terrororganisation und einem liberalen Rechtsstaat.
Mitglieder der SPD-Fraktion haben die Bundesregierung aufgerufen, sich für eine Anerkennung Palästinas einzusetzen. Was ist Ihre Meinung dazu?
Eine einseitige Anerkennung Palästinas hilft weder den Palästinenserinnen und Palästinensern noch den Israelis. So etwas muss in Friedensverhandlungen auf den Weg gebracht werden. Ich bin für eine Zweistaatenlösung, aber nicht für eine einseitige Erklärung, die uns einer dauerhaften Friedenslösung keinen Schritt näherbringt. Keinesfalls darf der Eindruck entstehen, dass die Hamas mit ihrem barbarischen Terror etwas durchgesetzt hat, was vorher auf friedlichem, diplomatischem Wege nicht erreicht werden konnte. Terror darf niemals belohnt werden.
Sie sagen, das Palästinenserhilfswerk UNRWA habe seine Glaubwürdigkeit komplett verloren. Ist das Mehrheitsmeinung in Ihrer Fraktion?
Das weiß ich nicht. Aber bislang konnte mir noch niemand die Frage beantworten, wie man – wenn ein friedliches Zusammenleben zwischen Palästinensern und Israelis Ziel unseres Engagements sein soll – mit einer Organisation zusammenarbeiten will, die von einer Seite nicht mehr als neutraler Akteur akzeptiert wird. Ich halte es für eine der großen Bewährungsproben der internationalen Gemeinschaft, die Vereinten Nationen wieder zu einer Organisation zu machen, die auch auf der israelischen Seite ein Minimum an Vertrauen und an Respekt genießt. Das ist in den vergangenen Jahren weitestgehend verloren gegangen.
Sie haben angekündigt, nach 26 Jahren im Bundestag mit der Politik Schluss zu machen, und begründen das mit einer zunehmenden Entfremdung von Partei und Politikbetrieb. Spielt die Kritik an Ihrer klaren Haltung zu Israel dabei eine Rolle?
Nein, nicht in Bezug auf meine Partei, aber auf mein eigenes Land. Als ich als junger Linker mein politisches Engagement begann, blickte ich sehr distanziert auf mein Land. Ich habe mich ihm in den vergangenen 26 Jahren, die ich dem Parlament angehöre, auch emotional angenähert. Ich habe es irgendwie lieb gewonnen. Aber die Folgen des Massakers vom 7. Oktober haben mich wieder stark von Deutschland entfremdet.
Was bedeutet das?
Es hat mich erschüttert, dass sich Menschen, die ich sehr schätze, mit dem Terror solidarisieren und Israel faktisch von der Landkarte verschwinden lassen wollen. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass nicht nur auf den Straßen, sondern auch an deutschen Universitäten Jüdinnen und Juden wieder Angst haben müssen, diskriminiert und ausgegrenzt zu werden. All das, wofür ich mein ganzes politisches Leben eingetreten bin, scheint nur auf Sand gebaut gewesen zu sein: der Respekt und die Solidarität mit Jüdinnen und Juden in Deutschland, die feste Freundschaft zur Demokratie, zu Israel und seiner Bevölkerung. Diese Erschütterung wiegt viel, viel schwerer als notwendige politische Kontroversen in meiner Partei und in unserem Parlament.
Mit dem SPD-Politiker und Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags sprach Detlef David Kauschke.