Kommentar

Masha Gessens Mao-Bibel

An dem Essay im »New Yorker« ist nicht nur der Vergleich von Gaza mit NS-Ghettos skandalös

von Eugen El  18.12.2023 17:23 Uhr

Masha Gessen Foto: picture alliance / TT NEWS AGENCY

An dem Essay im »New Yorker« ist nicht nur der Vergleich von Gaza mit NS-Ghettos skandalös

von Eugen El  18.12.2023 17:23 Uhr

Was für ein langatmiger Text! Jedem angehenden deutschsprachigen Journalisten würde solch ein ausufernder Essay mit so viel »Ich«-Gebrauch um die Ohren fliegen. Die Gesetze im avancierten US-amerikanischen Journalismus sind jedoch anders. Und so umfasst Masha Gessens Anfang Dezember in der Zeitschrift »The New Yorker« erschienener Essay »In The Shadow of the Holocaust« über 45.000 Zeichen – und ist damit rund 17-mal länger als dieser Kommentar.

Aus ebendiesem Grund werden viele Leserinnen und Leser womöglich längst ausgestiegen sein, bis Gessen nach mäandernden Betrachtungen über die irgendwie schrullige und überkommene deutsche Erinnerungskultur und das noch viel schrulligere Engagement der deutschen Politik gegen die Israel-Boykottbewegung BDS, frischen Eindrücken von einer Polen- und Ukraine-Reise und Bezugnahmen auf ihre jüdische Familiengeschichte fast beiläufig zu einer These kommt, die jüngst einen veritablen Skandal ausgelöst hat. 

In den vergangenen Jahren sei Gaza, schreibt Masha Gessen, zu einem Ghetto geworden. Um den Skandal zu vollenden, präzisiert Gessen sogleich, es sei kein jüdisches Ghetto in Venedig und auch kein als Ghetto bezeichnetes Armenviertel in einer US-Großstadt gemeint, sondern ein jüdisches Ghetto in einem von den Nazis besetzten osteuropäischen Land. Jetzt, so Gessen weiter, sichtlich Gefallen an der sprachlichen Tragweite ihrer Analogie findend, werde das (Gaza-)»Ghetto« (von Israels Armee) liquidiert.

Dieser bewusst gewählte, infame Vergleich führte zum Rückzug der Heinrich-Böll-Stiftung und des Bremer Senats von der Verleihung des Hannah-Arendt-Preises.

Dieser bewusst gewählte, infame Vergleich führte zum Rückzug der Heinrich-Böll-Stiftung und des Bremer Senats von der ursprünglich für Freitag vorgesehenen Verleihung des Hannah-Arendt-Preises für politisches Denken an Masha Gessen. Da der Trägerverein des Preises dennoch an der Würdigung festhielt, wurde der Preis nun am Samstag in einem kleineren Rahmen verliehen. Gessen wurde schon im Frühsommer für den Preis nominiert – ausschlaggebend soll damals das publizistische Engagement für die Russland-Berichterstattung gewesen sein.

Mit dem jüngsten »New Yorker«-Essay macht sich Masha Gessen zur Posterperson (Gessen definiert sich als non-binär) einer Bewegung. Wer durchhält und den Text in Gänze liest, wird einen ebenso hoch ambitionierten wie perfiden Rundumschlag gegen Israel und seine – insbesondere in Deutschland ansässigen – Verteidiger vor Augen haben, der die beliebtesten Argumente akademischer »Israelkritik« zusammenführt.

Israelkritische Künstler werden vom deutschen Kulturbetrieb gecancelt! Jüdische Israelkritiker werden systematisch mundtot gemacht! Juden sind nicht nur Opfer! Der mit solch abstrusen Thesen vollgespickte Text ist der eigentliche Skandal. Masha Gessen hat die Mao-Bibel für die »Free Palestine from German Guilt«-Fraktion vorgelegt.

USA

Hitlergruß: Nach Musk nun Bannon?

Steve Bannon, einst Chefideologe von Donald Trump, hat bei einer Rede vor rechten Aktivisten eine umstrittene Geste gezeigt

von Michael Thaidigsmann  21.02.2025

Berlin

»Welt«-Gruppe gedenkt der Bibas-Familie

»All jene, die in Deutschland den Islamismus verharmlosen oder relativieren, sollten in die Gesichter der Bibas Kinder sehen«, betont »Welt«-Chefredakteur Jan Philipp Burgard

 21.02.2025

Katrin Richter

Demokratie statt Lethargie

Wer nicht wählt, muss mit dem leben, was dann dabei herauskommt

von Katrin Richter  21.02.2025

Berlinale

»Das verdient kein öffentliches Geld«

Der Berliner CDU-Fraktionschef Dirk Stettner hat seine Karte für die Abschlussgala zerrissen – und will die Förderung für das Filmfestival streichen

von Ayala Goldmann  21.02.2025

Demoskopie

Abstimmung gegen Antisemitismus?

So wahlentscheidend sind jüdische Themen

von Michael Thaidigsmann  20.02.2025

Berlin

KZ-Gedenkstätten: Wählen gehen für die Demokratie

Rutscht die Gesellschaft weiter nach Rechts? Die Arbeitsgemeinschaft der KZ-Gedenkstätten sieht die Bundestagswahl als Chance, diesen Trend zu stoppen

 20.02.2025

Igor Mitchnik

Europa muss sich hinter die Ukraine stellen

Trump denkt nicht transatlantisch, sondern transaktional

von Igor Mitchnik  20.02.2025

WHO

Polio-Impfkampagne im Gazastreifen geht weiter

Weil das Poliovirus wieder in Abwasserproben nachgewiesen wurde, sollen in Gaza erneut etliche Mädchen und Jungen gegen Kinderlähmung geimpft werden. Start der Kampagne ist bereits in wenigen Tagen.

 19.02.2025

Bundeshaushalt

Deutschland gab Palästinensern in zwei Jahren 913 Mio. Euro

Das ergab eine Anfrage einer FDP-Bundestagsabgeordneten an die Bundesregierung

 19.02.2025