65 Jahre Israel

Masada wird nie wieder fallen

Die Felsenfestung in der Judäischen Wüste ist ein Symbol für den neuen Staat auf altem Boden

von Ralph Giordano  08.04.2013 20:01 Uhr

Masada: Im Jahr 73 gingen hier 960 Männer, Frauen und Kinder in den Tod, statt sich den Römern zu ergeben. Foto: Getty

Die Felsenfestung in der Judäischen Wüste ist ein Symbol für den neuen Staat auf altem Boden

von Ralph Giordano  08.04.2013 20:01 Uhr

Auf der Straße von Jerusalem zum Toten Meer. Hinein in die Bergwüste Judäas, zwischen ihre Tells, die knochentrockenen, zerbröselnden Hügel, und über Serpentinen auf den tiefsten Punkt der Erde zu. Jetzt wird der Blick über die Jordansenke frei und bald auf die ganze Wasserfläche. Drüben die gewaltige Barriere der Berge Moabs, hier unten Ziegenherden, Esel, braune Beduinenzelte, am Straßenrand bläuliche Blütenfelder. Es ist die Landschaft des Alten Testaments. Und dann taucht er auf, rückt immer näher, wuchtet immer gigantischer auf, ein Felsklotz von schrecklicher Erhabenheit – Masada!

Dort, in der Abgeschiedenheit der Judäischen Wüste, hat sich eines der großen Dramen der Antike zugetragen. Dort haben sich vor 2000 Jahren, nach dem fehlgeschlagenen Aufstand gegen die Römer und der Zerstörung des Tempels, 960 Männer, Frauen und Kinder verschanzt, willens, lieber zu sterben als sich zu ergeben. Als die Zehnte Legion des Flavius Silva nach jahrelanger Belagerung die Naturfestung stürmte, fand sie nur Tote vor. Aus dieser Tragödie hat das moderne Israel einen Umkehrschluss gezogen, die Charta des Judenstaates: »Masada wird nie wieder fallen!«

kulisse Nun wird Israel 65 – und genauso lange lebe ich mit ihm, Tag um Tag, Jahr um Jahr. Universale Kulisse vor dem Hintergrund des Nahostkonfliktes ist das Drama eines Volkes, das es schwerer hat als alle anderen, auf Erden heimisch zu werden. Es ist wie ein Fluch, wie ein Bann, der auch vor dem neuen Staat auf altem Boden nicht haltgemacht hat, sondern im Gegenteil Juden am stärksten dort gefährdet, wo sie sich am sichersten glaubten, nachdem die jahrtausendealte inbrünstige Hoffnung »Nächstes Jahr in Jerusalem!« verwirklicht worden ist. Noch einmal Ahasver? Noch einmal der Golem? Noch einmal den »Gelben Stern«? »Masada wird nie wieder fallen!«

Mit diesem hochgefährdeten Land fühle ich mich unlösbar verbunden, eine Ankettung, die unabhängig ist von den Maßnahmen abwählbarer Regierungen. Die Liebe zu ihm ist die Hülle meiner Kritik an ihm, ihm gehört all meine Bewunderung und so manches noch, was mir im Halse stecken bleibt, wenn ich es sagen möchte und nicht kann, weil es mir die Sprache verschlägt. Ich bin überzeugt von der Kraft dieses Landes und seiner Zukunft, ich baue auf seine Fantasie, seine Kreativität und seine Überlebensfähigkeit. Und doch hockt daneben ununterdrückbar jene jüdische Angst, die ein Fragezeichen setzen will: »Wird Masada nie wieder fallen?«

bedrohung Die kontinuierliche Bedrohung Israels quasi als Lebensgesetz beschert mir einen dauernden Konflikt, den ich hier eingestehe – den Konflikt zwischen meiner Liebe zu Israel und meiner Kritik an ihm. Das Wesen der Spannung besteht darin, eine Kritik zu äußern, die der Liebende gern verschwiegen hätte, weil sie Vorurteilen, Hass und Feindschaft weitere Nahrung geben könnte. Also sieht sich die eigene Ehrlichkeit immer wieder versucht, Kritik zu unterschlagen und damit gerade das zu verraten, was Israels Kraft und Größe, seine Staatsräson, die Stabilität seiner Demokratie, kurz, das Unterpfand seiner Existenz ausmacht: die Unteilbarkeit der Humanitas! Nur sie kann in diesem Konflikt Sieger bleiben.

Ein Freibrief für falsche Bundesgenossen, mir auf die Schulter zu klopfen, ist mein Geständnis jedoch nicht. Ich kritisiere als Liebender, und das schmerzt mehr als die Kritik eines Feindes. Ich akzeptiere niemandes Kritik an Israel, der mir nicht nachgewiesen hat, was ihm und seiner Sache die Menschenrechte und ihre Unteilbarkeit wert sind.

bindung Nur eines könnte meine lebenslange Gemeinschaft mit Israel versehren: Wenn es Kritik verbieten, sie mit der Schere im Kopf verstümmeln, die Meinungsfreiheit aufheben würde – das könnte in der Tat die Bindung zerstören. Doch so viel ich auch forsche, für ein solches Szenario finde ich keinen Platz in meinem Vertrauen zu Israel.

Vom Toten Meer steigt eine Höllenhitze auf, Wagenfenster und Schiebedach sind geöffnet. Und dann bin ich angelangt, liegt sie vor mir, die Bergzitadelle, in ihrer unbeschreiblichen Majestät, herrischen Isolation und Inselhaftigkeit. Schattenhaft abgehoben gegen die Sonne über dem Kamm der Steinwüste und von ihr in Jahrmillionen abgespalten, wie von einem Meister der Fortifikation. Dann hoch auf das Plateau und von dort der Blick über die salzverkrustete Senke und tiefblaue Wasserfläche auf Judäas wilde Bergwelt, bis an den Horizont.

Ich bin gekommen, um mich noch einmal zu vergewissern. Über die Hochfläche verstreut Menschen, lange Ketten von Menschen. Ich höre ihre Stimmen, Zungen aus aller Welt, wie durch einen Lautsprecher, und sauge sie tief in mich hinein. Dann erneuere ich meinen alten Schwur, ein Versprechen an die Geschichte Israels, eine in fünf Wörter geronnene Vision: »Masada wird nie wieder fallen!«

Der Autor ist Schriftsteller. Zuletzt erschien von ihm »Von der Leistung kein Zyniker geworden zu sein. Reden und Schriften über Deutschland 1999 bis 2011«.

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