Versammlung

Marschieren erlaubt

Dortmund ist beliebt bei Rechtsextremen aller Bundesländer: Demonstration im Mai 2019 Foto: imago images / ZUMA Press

Als in Dortmund die diesjährige Gedenkfeier der jüdischen Gemeinde zu den Novemberpogromen beendet war, twitterte die Dortmunder Polizei: »Die Veranstaltung verlief würdevoll und störungsfrei«. Das ist keine Selbstverständlichkeit in dieser Stadt, vor allem im Stadtteil Dorstfeld, in dem viele Neonazis wohnen und der von ihnen als »Nazikiez« bezeichnet wird.

Es war in diesem November das erste Mal seit Jahren, dass die Rechtsradikalen das Gedenken nicht störten. Neben einem Großaufgebot der Polizei war es wohl die Sorge, doch noch Verbotsgründe für die Demonstration zu Ehren der Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck zu liefern, die einen Tag später in Bielefeld stattfand.

VERHÖHNEN Keine Stadt in Westdeutschland hat ein so großes Problem mit Rechtsradikalen wie Dortmund. Und in kaum einer Stadt hat sich die sogenannte Zivilgesellschaft so sehr damit abgefunden.

Als im Herbst die Nazis durch die Nordstadt zogen, protestierten nur wenige Antifa-Demonstranten. Weder Parteien noch Gewerkschaften oder andere Initia­tiven meldeten sich. Erst als nach dem Anschlag und den Morden von Halle klar war, dass sich eine bundesweite Öffentlichkeit für die erste Nazi-Demo nach den Terrorakten interessieren würde, ging das offizielle Dortmund auf die Straße.

Die Polizei befindet sich in einem juristischen Kleinkrieg mit den Rechtsradikalen.

Die Polizei befindet sich in einem juristischen Kleinkrieg mit den Rechtsradikalen, die sich nach dem Verbot der Kameradschaft »Nationaler Widerstand Dortmund« (NWDO) in der Partei »Die Rechte« organisiert haben. Verbietet die Polizei einen Aufmarsch, wird dagegen ebenso geklagt wie gegen das Verbot, auf Demonstrationen Parolen wie »Wer sitzt im Schrank? Anne Frank!«, »Anne Frank war essgestört«, »Wer Deutschland liebt, ist Antisemit« oder »Am Ende sind wir damals wie heute Hitlers Leute« zu rufen.

Doch nicht nur gegen Juden wendet sich der Hass der Nazis. Mit der Parole »Mehmet hat’s erwischt« wird auch der vom NSU ermordete Dortmunder Kioskbesitzer Mehmet Kubasik verhöhnt, »Thomas Schulz, das war Sport, Widerstand an jedem Ort« bezieht sich auf einen von einem Dortmunder Neonazi getöteten Punk.

parolen Gelang es der Polizei, die Parolen gegen Anne Frank, Mehmet Kubasik und Thomas Schulz ebenso wie das Bekenntnis zu Hitler zu unterbinden, verlor sie in anderen Fällen vor Gericht. »Hier marschiert der nationale Widerstand«, »Nie, nie, nie wieder Israel« und »Hoch die nationale Solidarität« dürfen mit richterlichem Segen gerufen werden.

Die Arbeit der Dortmunder Polizei würdigte auch Zwi Rappoport, Vorstand der jüdischen Gemeinde Dortmund: »Herr Polizeipräsident Lange und Herr Oberbürgermeister Sierau sind im besonderen Maße engagiert im Kampf gegen Antisemitismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit und für Toleranz und Vielfalt in unserer Stadt.«

Bei Gerichten und Staatsanwaltschaften in Nordrhein-Westfalen sieht Rappoport das anders. »Unser Vertrauen in den Rechtsstaat wird aber nachhaltig erschüttert, wenn die Aufmärsche der Rechtsextremen und ihre antisemitischen Hetzparolen regelmäßig – unter Hinweis auf die Meinungs- und Versammlungsfreiheit – genehmigt werden«, sagte er und verwies auf den Spruch des Oberverwaltungsgerichts Münster, das Verbot der Parole »Nie wieder Israel« zu kassieren.

Die Staatsanwaltschaft hatte sich
lange geweigert, gegen »Rechte«-Plakate wenigstens zu ermitteln.

Probleme hat die jüdische Gemeinde auch mit Entscheidungen der Staatsanwaltschaften. So hätten sich sowohl die Staatsanwaltschaft in Dortmund als auch die Generalstaatsanwaltschaft in Hamm geweigert, gegen das Plakat der Nazi-Partei »Die Rechte« zur Europawahl auch nur zu ermitteln, auf dem sie mit dem Spruch »Zionismus stoppen. Israel ist unser Unglück! Schluss damit!« um Stimmen warb.

verbot Ein Verbot, das die Bielefelder Polizei gegen einen Aufmarsch am 9. November für die verurteilte Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck verhängte, wurde von einem Gericht kassiert. Begründung: Der Zweck der Demonstration stehe nicht im Gegensatz zum Gedenktag.

Es dauerte bis Ende November, bis die Generalstaatsanwaltschaft Celle vor wenigen Tagen verkündete, gegen »Die Rechte« zu ermitteln, weil ihr »Israel ist unser Unglück«-Plakat volksverhetzend sein könnte. Auch in Dortmund wurden nach jahrelangen milden Urteilen mittlerweile mehrere Rechtsradikale – etwa das Brüderpaar Matthias und Christoph Drewer, beide »Die Rechte«-Funktionäre, oder Sascha Krolzig – zu teils langen Haftstrafen verurteilt, oder sie sitzen in Untersuchungshaft.

Auch die Teilnehmerzahlen der Nazi-Demonstrationen werden immer kleiner: Kaum noch 100 Mann bekommen die Neonazis in Dortmund nach wochenlanger Mobilisierung auf die Straße. Für junge Rechtsradikale scheint die offene Nazi-Szene nicht mehr attraktiv zu sein. Knast, Bedrohung durch die Antifa und ein Leben zu führen wie Siegfried »SS-Siggi« Borchardt, der sich zeitweise bei der Tafel mit Lebensmitteln versorgte, sind wenig glamourös.

HANNOVER Auch in Hannover gelang Rechtsradikalen trotz großer Mobilisierung nur eine Demonstration mit etwa 120 Teilnehmern. Die NPD hatte aufgerufen, gegen kritische Journalisten – auch Autoren der Jüdischen Allgemeinen – zu demonstrieren. Die Polizei hatte nach etlichen Protesten die Versammlung verboten, ein Oberverwaltungsgericht hatte sie dann aber erlaubt. Zu Gegendemonstrationen fanden sich 7000 bis 8000 Menschen ein, die für die Pressefreiheit und gegen die rechtsradikale Bedrohung eintraten.

Kritik an der Polizei gab es, weil etliche der NPD-Demonstranten trotz des gesetzlichen Vermummungsverbots Kapuzen ihrer Jacken über den Kopf zogen, Sonnenbrillen trugen und Schals oder Halstücher bis über den Mund hochzogen. Die Polizei schritt nicht ein und begründete das so: »Teilnehmer gaben an, dass sie nicht auf Bildern der Medienvertreter erkennbar sein wollten.«

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