Herr Körner, jedes Jahr fließen Beträge im dreistelligen Millionenbereich aus dem EU-Haushalt an die Palästinenser und an das UN-Hilfswerk UNRWA. Dennoch gibt es große Zweifel, was die ordnungsgemäße Verwendung der Gelder angeht. Warum wird nicht genauer hingeschaut?
Das frage ich mich auch. Und auch, warum die EU es nicht schafft, dafür zu sorgen, dass an palästinensischen Schulen keine antisemitischen Lehrmaterialien mehr verwendet werden, oder dass die sogenannte Märtyrerrente für Angehörige getöteter oder in Israel inhaftierter Terroristen endlich abgeschafft wird. Wir hätten als Europäische Union Hebel, um das zu erreichen. Aber wir trauen uns nicht, sie zu benutzen.
Warum nicht?
Ich glaube, der Nahostkonflikt wird in Europa in erster Linie durch die nationale Brille gesehen. Und in Ländern wie Belgien, Spanien oder Irland gibt es große Sympathien für die Sache der Palästinenser. Neulich saß eine irische Europaabgeordnete der Europäischen Volkspartei beim Abendessen neben mir. Ich verstehe mich eigentlich sehr gut mit ihr. Aber ich hatte den Eindruck, sie hätte sich am liebsten von mir weggesetzt, als wir auf den Nahen Osten zu sprechen kamen. Viele schauen nur auf die eine Seite, auf die vermeintlichen Opfer. Für sie ist die Sache eindeutig: Das sind die Palästinenser, und es gibt nur einen Täter: Israel.
Mit anderen Worten, man lässt der palästinensischen Seite aus Sympathie für ihre Lage alles durchgehen?
Ja. Debatten über die israelische Kriegsführung und über die Handlungen der Netanjahu-Regierung sind natürlich legitim; sie finden ja auch in Israel selbst statt. Aber ich frage mich schon, warum viele meiner Kollegen im Europaparlament dagegen sind, dass die EU endlich klar und deutlich sagt: Wir akzeptieren es nicht länger, dass mit unserem Geld antisemitische Inhalte finanziert werden.
Wird Israel von vielen EU-Politikern als der »Böse« angesehen?
Das will ich keinem Kollegen vorwerfen. Aber ich frage mich schon, warum wir nicht wollen, dass zum Beispiel das seit Jahren bestehende Problem mit den Schulbüchern nicht endlich angegangen wird, warum wir da nicht mehr Druck ausüben. Wenn das Problem gelöst ist, könnte das Geld aus meiner Sicht sofort fließen. Ich will es den Palästinensern ja nicht verweigern. Aber warum pochen wir bei einem EU-Mitgliedsstaat wie Ungarn zu Recht auf Konditionalität, das heißt, auf die ordnungsgemäße Verwendung von EU-Mitteln, aber nicht bei den Palästinensern? Warum ist es uns da egal, ob sie unser Geld für Korruption oder für Hass und Hetze gegen Israel verwenden? Das ist ein Doppelstandard.
Wie wollen Sie die Palästinenser denn zum Einlenken bewegen?
Indem wir einen Teil der zugesagten Haushaltsmittel in eine Reserve packen, mit der klaren Ansage an die Empfänger: Nur, wenn ihr die angesprochenen Punkte reformiert, kann das Geld ausgezahlt werden. Ich finde, die deutschen und europäischen Steuerzahler haben es verdient, dass wir sehr genau hinschauen, was mit ihrem Geld passiert. Für Korruption, Terror, Hass und Hetze sollte die Europäische Union jedenfalls kein Geld geben.
Nun würden einige einwenden, dass das leichter gesagt als getan ist …
Es ist natürlich auch eine Frage von Diplomatie und Konfliktbefriedung; man strebt nach Kompromissen. Aber es ist doch interessant, dass wir hohe Standards an die israelische Regierung anlegen, eine demokratisch gewählte Regierung eines Rechtsstaates, es bei der anderen Seite aber nicht tun.
Nun erhalten die Palästinenser pro Kopf deutlich mehr finanzielle Unterstützung von der EU als die Menschen in anderen armen Ländern, zum Beispiel in Afrika. Warum ist das so?
Das weiß ich auch nicht. Fakt ist, die EU hat seit den Oslo-Abkommen in den 90er-Jahren rund 8,5 Milliarden Euro an Hilfen für die Palästinenser bezahlt. Und man muss sich schon mal fragen, was das alles gebracht hat. Hat das einen Effekt? Mir liegt das Befinden der Palästinenser auch sehr am Herzen. Ich bin kein Unmensch, ich möchte nicht, dass die Menschen dort leiden. Aber was haben sie mit dem ganzen EU-Geld gemacht in all den Jahren? Hat sich die Lage der Menschen verbessert? Ist der Friedensprozess vorangekommen? Die Antworten auf diese Fragen sind vernichtend. Und dann soll man nicht mal fragen dürfen, woran das liegt?
Was sollte getan werden?
Wir müssen künftig viel genauer hinschauen. Gerade in der jetzigen geopolitischen Lage dürfen wir nicht naiv sein. Wenn die Europäische Union für Rechtsstaatlichkeit und Demokratie als Werte eintritt, muss sie auf der Welt auch konsequent europäische Interessen verfolgen. Wir müssen uns fragen: Was passiert mit unserer Entwicklungshilfe? Sicher, man kann nicht alles konditionalisieren. Aber aktuell habe ich das Gefühl, dass viele im Europäischen Parlament bei UNRWA und der palästinensischen Autonomiebehörde lieber gar nicht hinschauen möchten.
Bald wird es mit Kaja Kallas aus Estland eine neue EU-Außenbeauftragte geben, die Ihrer liberalen Parteienfamilie angehört. Wird sie einen anderen Kurs einschlagen als der noch amtierende Beauftragte, der spanische Sozialist Josep Borrell?
Sie wird sicherlich ausbalancierter in dieser Frage sein als Borrell. Der ist arg in die falsche Richtung abgebogen. Aber Europa ist in punkto Nahost tief gespalten. Und Kallas kann den Regierungen der 27 Mitgliedsstaaten ja nichts vorschreiben. Insgesamt wird die EU sich mal Gedanken machen müssen, welche Rolle sie in der Region spielen kann. Das klappt ja bislang nicht so gut. Es fließt Geld, und trotzdem passiert nichts.
Inwiefern?
Ich gebe Ihnen ein Beispiel. 2005 wollte man mit der EUBAM-Mission Verantwortung für den Grenzübergang in Rafah übernehmen, mit eigenem Personal und so weiter. Nach der Machtübernahme der Hamas wurde die Zusammenarbeit aus Sicherheitsgründen eingestellt, denn die EU stuft die Hamas als Terrororganisation ein. Aber noch heute, fast 20 Jahre später, gibt es die EUBAM, gibt es von der EU bezahlte Mitarbeiter, die auf ihren Wiedereinsatz warten. Die sitzen sozusagen im Homeoffice. Vor Ort wäre die Lage auch viel zu gefährlich. Das kostet die EU jährlich rund 2,5 Millionen Euro. Ob das ein sinnvoller Einsatz von Steuergeldern ist, bezweifle ich.
Bei der jüngsten Abstimmung im Europaparlament über die Haushaltsresolution haben auch deutsche Sozialdemokraten und Grüne mit Nein gestimmt. War das nur Parteitaktik?
Es gab einige unter den Änderungsanträgen einige, die als sogenannte Key Votes eingestuft wurden. So hat die sozialdemokratische Fraktion den Änderungsantrag zu den antisemitischen Lehrmaterialien nicht nur abgelehnt, sondern im Fall seiner Annahme angekündigt, man werde gegen die gesamte Haushaltsresolution votieren. So kam es dann auch. Warum sie das gemacht hat, weiß ich nicht, mir hat es bislang niemand erklärt. Ich muss aber hinzufügen, dass auch ich in der Schlussabstimmung mit Nein gestimmt habe. Der Grund war, dass die EVP zuvor dem Änderungsantrag eines AfD-Abgeordneten zur Mehrheit verholfen hatte. Das war ein klarer Bruch der Brandmauer. Mit den Le Pens und Orbáns können wir nicht gemeinsame Sache machen, das geht nicht.
Selbst in Ihrer eigenen Fraktion, Renew, teilt eine Mehrheit Ihre Position in Sachen EU-Hilfen für die Palästinenser nicht.
Das ist richtig. Zum Key Vote wurde diese Frage von uns aber nicht erklärt. Dennoch ist mir bewusst, dass es noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten gilt.
Mit dem Europaabgeordneten und Generalsekretär der FDP in Nordrhein-Westfalen sprach Michael Thaidigsmann.