Redezeit

»Man muss die Lage ernst nehmen«

Herr Safiarian, in ihrem jüngsten Bericht hat sich die Internationale Atomenergiebehörde (IAEO) »ernsthaft besorgt« über das iranische Nuklearprogramm gezeigt. Der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad beharrt darauf. Wie ernst ist die Situation?
Man muss die Lage schon ernst nehmen. Allerdings sind die Pläne eines israelischen Angriffs auf die iranischen Atomanlagen auch nicht neu. Was neu ist, ist die Intensität der Angriffspläne, das Säbelrasseln und die Enthüllung der IAEO, dass der Iran an der Schwelle zur Atommacht steht. Interessanterweise mit russischer, nord-koreanischer und pakistanischer Hilfe. Es soll Informationen geben – Beweise sind es noch nicht – über die Existenz von Computermodellen und Atomsprengköpfen, mit denen wohl auch hochexplosive Mischungen von Sprengstoff gezündet werden könnten. Die Informationen sind besorgniserregend. Man hört von Fachleuten, dass die IAEO in ihrem Urteil noch nie so weit gegangen ist. Viele hat es überrascht, Experten wie mich überrascht es nicht. Wir gehen schon lange davon aus, dass der Iran ein klandestines Atomprogramm hat.

Reicht es für den Bau einer Atombombe?
Der Iran hat alle Mittel dazu, er hat sich nur noch nicht entschieden, sie dafür einzusetzen. Das ist die eine Sache. Als Halbiraner sage ich, der Iran hat natürlich ein legitimes Interesse daran, auf Abschreckung zu setzen, aber auch das hat einen Haken: Wenn er auf Abschreckung setzt, muss er das Gegenüber anerkennen. Der Iran erkennt Israel aber nicht an. Insofern sind die antisemitischen Drohgebärden von Präsident Ahmadinedschad sehr ernst zu nehmen. Man weiß natürlich nicht, inwiefern das eine Ablenkung von innerpolitischen Problemen in Israel ist, aber auch von heftigen Problemen, die es im Iran gibt. Mahmud Ahmadinedschad befindet sich im erbitterten Machtkampf mit dem obersten religiösen Führer. Kurz gesagt: Ahmadinedschad möchte den Klerus abschaffen, zu dem auch Chamenei gehört. Gleichzeitig setzt er auf den sogenannten verborgenen 12. Iman. Er soll den gerechten islamischen Staat etablieren. Der oberste religiöse Führer, das Fundament des Gottesstaates, ist somit null und nichtig. Chamenei wiederum schießt zurück und sagt, dass das Präsidentenamt überflüssig sei. Und nicht zuletzt muss man sich die Frage stellen: Wie gefährlich ist eine mögliche Bombe in den Händen eines religiösen Apokalyptikers vom Schlage Ahmadinedschad? Es brodelt jedenfalls gewaltig im Iran.

Hat Mahmud Ahmadinedschad im Volk Rückendeckung für sein Atomprogramm?
Nun, das ist aus der Entfernung schwierig zu beantworten. Ahmadinedschad war schon immer ein Populist und versucht jetzt auch, das Atomprogramm als »nationale Sache« zu stilisieren. Er stellt die Notwendigkeit eines zivilen Atomprogramms in den Vordergrund und begründet das mit schwindenden Energieressourcen und der Krebsforschung. Damit sichert er sich den Zuspruch der Bevölkerung. Gleichzeitig muss man sagen, dass aufgrund der katastrophalen Wirtschaftslage, der Arbeitslosigkeit und Hoffnungslosigkeit vieler Menschen im Land die meisten das Atomprogramm gar nicht so richtig im Bewusstsein haben. Es gibt Wichtigeres für sie – den täglichen Überlebenskampf.

Welche Rolle spielt dabei die sogenannte Grüne Bewegung?
Wir dürfen nicht vergessen, dass die arabischen Revolutionen 2009 ihren Anfang im Iran genommen hatten. Augenscheinlich liegt die Grüne Bewegung am Boden, ihre Führer stehen unter Hausarrest, und die Unterstützer der Bewegung sitzen in den Gefängnissen und werden brutal gefoltert. Viele Menschen haben Angst, wieder auf die Straße zu gehen. Ich denke, das Feuer der Opposition lodert unter der Asche, es bedarf nur eines neuen, mutigen Funkens, der die Proteste zu einem Flächenbrand im Iran ausweitet. Die Menschen haben nach über 30 Jahren religiöser Diktatur genug davon. Sie wollen Freiheit und Demokratie – doch die Mullahs werden ihre Macht nicht so kampflos aufgeben.

Im iranischen Staatsfernsehen soll der iranische Generalstabschef Massud Dschasajeri mit der »Zerstörung« Israels gedroht haben, sofern das Land die iranischen Anlagen angreift. Wie sollte Israel reagieren?
Nach den Berichten der vergangenen Tage, aufgrund derer es klar schien, dass Benjamin Netanjahu, Ehud Barak und auch der Friedensnobelpreisträger Schimon Peres sich für einen Angriff ausgesprochen haben, gibt es mittlerweile Stimmen, wie die vom ehemaligen Mossad-Chef Meir Dagan, die einen Angriff ablehnen. Der Iran hat seine Fühler in Richtung Hamas und Hisbollah ausgestreckt. Der Flurschaden wäre also weitaus größer. Israels Botschaft an die Welt ist dabei, den Druck zu verstärken und damit härtere Sanktionen gegen den Iran zu provozieren – nach dem Motto: Wenn ihr die Sanktionen gegen den Iran nicht verschärft, greifen wir an. Paradoxerweise kann sich Israel bei einem Angriff auf den Iran der Unterstützung arabischer Staaten sicher sein. Denn auch Länder wie Saudi-Arabien möchten keinen starken Iran in der Region.

Auch die EU macht sich Sorgen über das Atomprogramm. Der französische Außenminister Alain Juppé forderte sogar, dass sich die UNO damit befassen sollte. Wie sollte sich Europa verhalten?
Auf jeden Fall nicht in Panik verfallen. Die IAEO hat ja keine Beweise gegen den Iran, bisher sind es nur Indizien. Ich kann nur immer wieder betonen: Man muss den Iran zurück an den Verhandlungstisch holen. Er ist bereit dazu, denn seine Wirtschaft liegt am Boden, und noch weitere Sanktionen würde er nicht aushalten können. Die Frage ist auch: Treffen die Sanktionen wirklich die korrupte Machtelite oder das Volk? Kurzum: Man muss dem Iran ein Angebot unterbreiten, damit er ohne Gesichtsverlust an den Verhandlungstisch zurückkehren und Zugeständnisse machen kann.

Wie könnte das konkret umgesetzt werden?
Indem man beispielsweise das Atomprogramm durch die IAEO in allen Einzelheiten kontrollieren oder das Uran im Ausland anreichern lässt – diese Ideen gab es ja schon. Die Demokratie im Iran muss gestärkt werden, die Grüne Bewegung ist nicht ganz erloschen, auch sie muss unterstützt werden. Man sollte den Menschenrechtsdialog weiterführen und auf Diplomatie und Verhandlungen setzen. Krieg kann immer nur die Ultima Ratio sein.

In Ihrem Buch »Pulverfass Iran« gehen Sie der Frage nach »Wohin treibt der Iran?« Zu welchem Schluss sind Sie gekommen?
Ich würde gern die Hoffnung haben, dass er in Richtung einer säkularen Demokratie steuert, aber davon sind wir noch weit entfernt. Es existieren ja keine Gewerkschaften, keine Parteien, keine Meinungs- und Pressefreiheit. Trotzdem gibt es über 100 Tageszeitungen und Zeitschriften. Das Land steuert leider in Richtung einer Militärdiktatur der Pasdaranen. Das Potenzial für eine Demokratie ist da. Man darf nicht vergessen: 70 Prozent der über 80 Millionen Menschen im Land sind unter 25 Jahre alt und kennen quasi nur die islamische Republik. Darin steckt viel Potenzial, denn die Menschen entfremden zunehmend vom Klerus und der Geistlichkeit und wollen Demokratie. Es gibt Facebook und Twitter – auf diese Bewegungen und Netzwerke sollte man setzen. Die Lösung lautet: Trennung von Staat und Religion.

Das Gespräch führte Katrin Richter.

Kamran Safiarian ist Journalist und Politikwissenschaftler. 1969 in Teheran geboren, kam er mit zehn Jahren nach Deutschland. Er studierte Politik, Kommunikationswissenschaft und Sozialpsychologie in München und machte am Insitut Francais de Presse sein französisches Diplom. Seit 1995 arbeitet er für das ZDF, zunächst für das »heute-journal«, später als Redakteur und Reporter für das 3sat Magazin »Kulturzeit«. In dieser Zeit produzierte er Berichte und Reportagen für das »ZDF-auslandsjournal« und das ARD-Magazin »Report Mainz«.
Sein Buch »Pulverfass Iran: Wohin treibt der Gottesstaat?« ist im Herder Verlag erschienen.

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