Herr Schweitzer, sind Sie von Zeitpunkt und Ausmaß der Pariser Attacken überrascht?
Nichts deutete darauf hin, dass diese Angriffe gerade jetzt stattfinden würden. Aber die Tatsache, dass Frankreich und andere Metropolen im Visier des IS stehen, überrascht keineswegs. Ein Terroranschlag war nahezu unvermeidlich, gewissermaßen eine »erwartbare Überraschung«. Es war lediglich eine Frage der Zeit, wann der IS hier zuschlagen würde.
Hat Präsident François Hollande recht, wenn er von einem Krieg spricht?
Es ist ein Krieg – diese Art von Terrorismus verdient keine andere Bezeichnung. Und diesen Krieg können wir nur gewinnen, wenn wir, die demokratische, freiheitsliebende Weltgemeinschaft, unsere Kräfte und Maßnahmen der Gegenseite anpassen. Es wird dabei wahrscheinlich weniger auf Panzer und Bodentruppen hinauslaufen, als vielmehr auf gezielte Operationen, gemeinsame Angriffe der Bündnispartner und eine verstärkte Zusammenarbeit mit Einheimischen in Syrien und im Irak.
Worauf kommt es darüber hinaus an?
Wichtig ist es, den IS zu infiltrieren und – das halte ich für entscheidend – bereits indoktrinierten oder gefährdeten Sympathisanten mit Gegenargumenten die Augen zu öffnen. Die zunehmende Zahl an potenziellen IS-Rekruten erfordert eine qualifizierte Überwachung – man muss also Personal aufstocken, wie es der BND bereits angekündigt hat. Derartige Schritte hätte man bereits vor zwei Jahren unternehmen sollen. Schon die ganze Zeit über gab es Informationen darüber, wie viele der radikalisierten Syrien-Rückkehrer desillusionierte junge Muslime mit britischen, französischen oder deutschen Pässen sind. Doch besser spät als nie. Paris war ein Weckruf.
Ist der Krieg zu gewinnen?
Man darf weder den Fehler machen, die Macht des IS zu überschätzen, noch die Kompetenz der europäischen Geheimdienste zu unterschätzen. Im Gegenteil: Man muss nüchtern und klar bleiben, trotz der Bedrohung. Das zeigt die Erfahrung. Nach den Anschlägen vom 11. September war die Welt dem Terror von Al Qaida ausgesetzt – doch westliche Sicherheitsbehörden haben es geschafft, diese Herausforderung zu meistern.
Wird es diesmal auch gelingen?
Die Geheimdienste können die effizienten und wertvollen Erfahrungen der vergangenen Jahre nutzen, um geplante Anschläge zu verhindern. Der Kampf gegen die islamistischen Terroristen ist unausweichlich. Es ist notwendig, den IS und seine Ideen zu besiegen. Und es ist zu schaffen. Man darf nur keine Angst schüren – das würde Rechtspopulisten wie Islamisten in die Hände spielen.
Sind jetzt jüdische Einrichtungen besonders gefährdet?
Für gewöhnlich fügen die Islamisten der Liste an Anschlagszielen jüdische Ziele hinzu, weil sie damit Zustimmung unter potenziellen Sympathisanten hervorrufen. Diese Ziele sind in ihren Augen maßgeblich legitim, aber nicht ihr Hauptaugenmerk.
Mit dem israelischen Terrorismusexperten sprach Katharina Schmidt-Hirschfelder.