Das Ganze hatte etwas Absurdes: Ein vor den Nazis ins Exil geflohener Antifaschist kniet am Denkmal für die Aufständischen des Warschauer Ghettos nieder und erkennt damit deutsche Schuld an. Ein in rechten Kreisen als »Vaterlandsverräter« geschmähter Bundeskanzler trauert im Namen des Landes der Täter. Zu einer solchen Geste gehört Größe. Willy Brandt hatte sie, frei von Kalkül und taktischen Erwägungen. In seinen Memoiren versicherte der SPD-Politiker, den berühmten Kniefall am 7. Dezember 1970 nicht geplant zu haben. »Am Abgrund der deutschen Geschichte und unter der Last der Millionen Ermordeten tat ich, was Menschen tun, wenn die Sprache versagt.« Und so ging ein Bild um die Welt, das zeigt, wie ein bedeutender Politiker etwas ganz Besonderes tut: Mut und Gefühl zeigen. Ein Foto, das mehr wert ist als Tausende wohlformulierter Reden. Ein Symbol, das Zeichen (Ostpolitik! Versöhnung!) setzt. Vor allem, weil es aufgrund seiner Spontaneität authentisch und glaubhaft wirkt. Zumindest glaubhafter, als etwa so mancher, der Staatsräson geschuldete Besuch der Schoa-Gedenkstätte Yad Vashem. In der Politik sind solche Gesten rar geworden. Alles wird bis ins Detail geplant. Bloß keine Überraschung, um Gottes willen nichts falsch machen. Mehr Demokratie wagen? Sicherlich, aber gerne auch mal mehr Mut. Wie es geht – Willy Brandt hat es vorgemacht.
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